Ein Rädchen im System

Eine kapitalistische und rassistische Institution

In beinahe allen gesellschaftlichen Lebensbereichen ist die Polizei präsent. Sie ist verknüpft mit dem Stadtteil, der Kommune, dem Land, dem Bund und ist damit auf allen Ebenen des Nationalstaates anzutreffen. Auch international gewinnt sie zunehmend an Bedeutung, z.B. auf EU-Ebene durch Kooperationsnetzwerke wie Interpol, Frontex, und den Export von Polizeipraktiken in alle Welt, darunter auch in aktuelle Kriegs- und Krisengebiete, wie z.B. dem Irak und Afghanistan. Sie ist Mittel und Element der kapitalistischen Politik auf allen genannten Ebenen. Dabei ist sie nicht zuletzt für die Wirtschaft ein unverzichtbares Instrument. Denn es ist das staatliche Gewaltmonopol, welches aktiv wird, sobald sich Widerstand gegen die bestehende Wirtschaftsordnung regt. So schlägt die Polizei dynamische Streiks nieder, gewährleistet Streikbrecherinnen den Zugang zum Werksgelände und räumt besetzte Fabriken. Ferner ist es ihr Auftrag die Besitzverhältnisse zu wahren, wenn sie z.B. besetzte Häuser und Wohnungen räumt oder Writerinnen mit Hubschraubern jagt. Sie verfolgt dich auch, wenn du etwas genommen hast, ohne dafür zu bezahlen. Ebenso dazu gehört das Sortieren von Menschen nach Maßstäben wirtschaftlicher Rentabilität, wenn sie z.B. Migrantinnen abschiebt oder Obdachlose aus der Innenstadt vertreibt. Dasselbe geschieht mit Hartz4-Empfängerinnen, die aus ihren Wohnungen im aufgewerteten Innenstadtkiez zwangsgeräumt werden. Gerichtsbarkeit und Politik sorgen für die Rahmenbedingungen, die direkte Umsetzung bleibt meist der Polizei überlassen.

Cops in Riotausrüstung bilden eine Mauer
Bullenmauer

Es ist kein Zufall, dass die Polizei das kapitalistische System beschützt und aufrecht erhält – sondern eine bestimmte gesellschaftliche Formation vor einem historischen Hintergrund: Der Begriff der Polizei kommt (auch) vom Begriff Policey, was als Ausdruck für eine gute Verwaltung verwendet wurde. Im 15. Jahrhundert, als die moderne Polizei sich langsam entwickelte, ging es darum eine gute Ordnung herzustellen. Dieser ordnungsvermittelnde Charakter bestand vor dem Hintergrund des Endes des Feudalismus. Es ordnete nicht mehr der Stand das Leben, sondern es brauchte etwas bzw. wen Neues. Insofern ging es nicht nur um Verbrechensbekämpfung, sondern um eine neue Art zu regieren. Der Schutzauftrag bestand darin das aktuelle Herrschaftssystem ausrechtzuerhalten. Insofern ist die Polizei kapitalistisch.

Diese moderne, jüngere Funktion wurde, bevor sie sich in Europa durchsetzte, in den Kolonien erprobt. Auch dieser rassistische, koloniale Kontext bleibt zu beachten. Heutzutage zeigt sich dies in einem Besatzungszustand, den viele Schwarze Personen und People of Color erleben: Sie können sich ihres Lebens nicht sicher sein. Es gibt spezielle Räume, die als kriminalitätsbelastete Orte sogenannte “Gefahrenzonen” verrufen sind, in der die Polizei einen Freifahrtschein für Racial Profiling bekommt. Diese Polizeigewalt begegnet den Betroffenen als drastische Konfrontation aber auch auf subtilere Art im Alltäglichen. Dabei sind die Betroffenen selbst medial wenig repräsentiert, sondern oft nur Objekte der Berichterstattung. Oft entwickeln sie ein Vermeidungsverhalten und meiden Orte, Demos oder bestimmte Verhaltensweisen. Das wiederum schränkt ihre Freiheit und Wirksamkeit im erklärten demokratischen Rechsstaat ein. Rassistische Polizeigewalt führt somit zu antidemokratischer Ungleichheit.

Vor diesem Hintergrund und aus dem polizeilichen “Schutzauftrag” folgt auch unmittelbar das Problem, das sich aus linker Perspektive stellt. Von der Polizei wird die Normabweichung als Störfaktor gesehen, ein Auflehnen gegen die herrschende Ordnung ist eine direkte Provokation der Polizeireaktion.

Wer sich in das Thema Polizei im Nationalsozialismus und deren bis heute bestehende Kontinuitäten einlesen möchte, findet hier Informationen.

Auf dem Helm eines Bullen wurde eine Bananenschale geworfen, die von einem anderen Cop abgenommen wird.

Zusammenarbeit der Berliner Polizei mit anderen Sicherheitsbehörden (Beispiele)

– Bundesweit:

  • Bereitschaftspolizeien der Länder: Verwaltungsabkommen zwischen Ländern und Bund, dass der Bund durch das Innenministerium Weisungen an die Bereitschaftspolizeiabteilungen der Länder vornehmen kann, z.B. bei Großlagen wie Demos, Staatsbesuche, Gipfeltreffen, Naturkatastrophen… (zuständig ist der Inspekteur der Bereitschaftspolizeien der Länder – IBPdL – Andreas Backhoff)
  • die Bereitschaftspolizei Berlins unterstützt andere Bundesländer (Amtshilfe) und wird umgekehrt unterstützt. Einsätze werden verrechnet.

– Europa:

  • Frontex: die Berliner Polizei schickt seit 2016 in 8-wöchigen Einsatzintervallen 2 Bullen an die Außengrenzen von Italien, Griechenland und Bulgarien
  • LIMES: Kooperation zwischen Berlin und 3 weiteren Bundesländern mit Polen, Tschechien, Estland, Lettland, Litauen und Schweden im Bereich der “internationalen Fahrzeugverschiebung” und “russischsprachiger organisierter Kriminalität”
  • Europol: 4 Beamt*innen des Berliner LKA (Dezernat 74) sind grade für Europol in Den Haag im Bereich “organisierte Kriminalität” tätig
  • OLAF: 1 Cop der Berliner Polizei ist beim Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung angestellt

– Auslandseinsätze und Ausbildungsmissionen

  • Berlin ist Mitglied der Bund-Länder-Arbeitsgruppe “internationale Polizeimissionen”: diese Arbeitsgruppe organisiert die Auslandseinsätze der Polizeien in Deutschland
  • derzeit sind rund 290 Polizeibeamt*innen des Bundes und der Länder an fünf Missionen der Vereinten Nationen und sieben Missionen der Europäischen Union beteiligt u. a. im Südsudan und im Kosovo, in Mali, Liberia, Georgien, Libyen; hinzu kommen bilaterale Polizeiprojekte, wie in Saudi-Arabien

Reformierbarkeit vs. Defund and Abolish

Aus antikapitalistischer und antirassistischer Perspektive bleibt daher nur eine Forderung: die Abschaffung bzw. das Überwinden der Polizei. Diese abilitionistische (vom engl. “abolish” = abschaffen, beseitigen, abbauen) Forderung ist dabei als ganzheitlicher Ansatz einer politischen Vision zu sehen. Er ist verbunden mit der Kritik an Rassismus & Kapitalismus und die dieses Gefüge sichernden Institutionen, also auch Grenzen, Lagern, Gefängnissen. In einer befreiten Gesellschaft emanzipierter Individuen ist kein Platz für eine Gruppe von Menschen, welche per Berufsbeschreibung in ihrem täglichen Handeln Macht und Gewalt über andere ausüben.

Bei Abolitionismus geht es darum, die Bedingungen und Denkweisen abzuschaffen, die Polizei, Gefängnis und Straflogik als einzige Lösung für Probleme verstehen und rechtfertigen. Abolitionismus als politische Strategie bedeutet Transformation: Dafür müssen wir Gesellschaft und Communities/Gemeinschaften stärken und zwischenmenschliche Beziehungen gleicher und gerechter gestalten, sodass die Grundursachen für “Verbrechen” abgeschafft werden, die Polizei und Gefängnisse also überflüssig werden. Größere systemische Lösungen haben daher oft gar nicht so viel mit der Polizei selbst zu tun – vielmehr geht es um die Prävention von Gewalt, um die Ursachen von Gewalt, um die Definition von Sicherheit.

Die Abschaffung der Polizei funktioniert nicht von heute auf morgen. Dazu ist sie zu sehr eingebunden in verschiedene Herrschaftsmechanismen und -strukturen. Jedoch ist es sinnvoll, eher heute als morgen damit anzufangen. Es braucht transformative Prozesse. Das bedeutet auf ideologischer Ebene ein Umdenken: Accountability (Zurechenbarkeit, Verantwortung) zu schaffen für polizeiliches Handeln und Gewalt sowie gesamtgesellschaftlich die Identifikation mit der Polizei(-arbeit) zu überwinden. Hierzu gehört auch die Entkriminalisierung von Straftaten und ein Perspektivwechsel durch Bildung.

Reformen gilt es danach zu bewerten, ob sie reformistische Reformen sind – also eigentlich Rückschritte – oder, ob sie Perspektiven öffnen für eine andere Vision. So haben viele vermeintlich liberale Reformen in der Vergangenheit de facto zu einer Verschlimmerung geführt. Ein Beispiel: Eine bessere Schutzausrüstung bei der Polizei, um Straftaten gegen sie weniger erfolgreich zu machen und Leute davon abzuhalten, hat zu den heutigen Robo-Cops geführt, die vollständig militarisiert Demonstrant*innen entgegentreten. Daher ist jede Form von Reform abzulehnen, die zu mehr Ressourcen bei der Polizei führt. Stattdessen muss das Geld umverteilt und neu genutzt werden. Dies ist bekannt unter dem Stichwort Defund (= Mittel abziehen). Defund richtet sich dabei nicht nur auf reines Geld, sondern auf Personal, Gebäude, Ausstattung und Befugnisse.

Bisher ist der Trend bei der Polizei eher andersherum, allein an den Gebäuden zeichnet sich dies ab: So kosten die Antiterrorgebäude (Übungsgelände des SEK in Lankwitz, Gebäudekomplex Ringbahnstraße, sowie das Spandauer Kasernenglände) zusammen rund 600 Mio. €. In weitere geplante Schießstände in Ruhleben (Charlottenburger Chaussee 67) fließen noch einmal 21,5 Mio. €, plus 10 Mio. € für Cecilienstraße in Biesdorf obendrauf. Weitere Anlagen in der Kruppstraße in Moabit und an der Ruppiner Chaussee in Heiligensee sind geplant. Auch die Polizeiakademie bekommt üppig Geld: rund 18,9 Mio. € für den Standort Charlottenburger Chaussee 67 und 13 Mio. € für den Standort Radelandstr. 21. Desweiteren flossen für Simulatoren und Software, sowie Übungswaffen und WLAN rund 1 Mio. € – alleine zwischen 2018 und 2021.

Übrigens: Planerisch tätig für einige Polizeibauten wird JSP ARCHITEKTEN, Gesellschaft für Gesamtplanung mbH, Köpenicker Str. 145, 10997 Berlin, Haus 4. OG 1

Manche liberalen Reformen ergeben zwar grundsätzlich Sinn: Eine Kennzeichnungspflicht beispielsweise erleichtert es, Straftäter*innen in Uniform zu erkennen und anzugehen. Es ist jedoch mittlerweile klar geworden, dass diese Reformen an ihre Grenzen stoßen: ungenaue Kennzeichnung; Einsatz von noch ungekennzeichneten Einheiten dort, wo es brenzlig wird; Korpsgeist und falsche Aussagen vor Gericht durch Bullen-Kolleg*innen; Unwillen und Unvermögen der Staatsanwaltschaften und Gerichte. Die Handlanger staatlicher Gewalt werden geschützt; wer versucht, sie für ihre Taten verantwortlich zu machen, dem werden ständig Steine in den Weg gelegt. Nach G20 wurde so kein*e einzige*r Polizeibeamt*in wegen Polizeigewalt verurteilt.

Ansprechstellen ein (liberaler) Versuch, die Polizei einzugrenzen

Berliner Datenschutzbeauftragte – Maja Smoltczyk (bis Oktober 2021) – Hilfe z.B. bei unbefugter Datenabfrage durch die Polizei
Kontakt:

Berliner Bürger- und Polizeibeauftragte:r – Beschwerdestelle, die bei Konflikten zwischen Bürger*innen und der Berliner Polizei oder anderen Berliner Behörden vermittelt
-diese Stelle wurde 2020 beschlossen und ist momentan noch im Aufbau
-Ende 2021 soll ein*e Beauftragte*r gewählt werden

Für Berlin bedeutet dies, anzuerkennen, dass die Polizei bisher haushaltstechnisch stets weiter ausgestattet wurde. Aber nicht nur bei der Polizei ist anzuknüpfen, auch für die Justiz wurde unter Rot-Rot-Grün enorm viel Geld bereitgestellt. Sie werden ständig in eine bestimmte Richtung ‘reformiert’. Diese Logik gilt es im Sinne von Defund umzudrehen. Kurz: weg von repressiver Logik, hin zur Logik der sozialen Teilhabe – auch durch entsprechende Haushaltspolitik.

Re-Investitionen müssen sich auf diskriminierungsfreie Gesundheitsversorgung, psychologische Hilfen, Wohnraum für Alle und soziale Sicherheit richten. Zur Überwindung des bestehenden Systems müssen wir kreativ sein und andere Modelle entwickeln und ausprobieren können. Dafür braucht es gemeinschaftliche Lernräume und -prozesse, sowie Möglichkeiten der Mitbestimmung.

Wer sich in Polizeikritik übt und diese abschaffen will, sieht sich auch selbst schnell mit Repression konfrontiert. Als am 8.5.2021 Tausende in Berlin gegen die Polizei auf die Straße gingen (“Ihr seid keine Sicherheit”), wechselte noch tags zuvor die Einsatzleitung von einer normalen Betreuung zum Leiter der Direktion Einsatz selbst, Stefan Katte. Auch wenn sich Katte und Co. sehr freundlich gaben und natürlich nicht selbst in die Demo reinrannten, um Personen festzunehmen, sollte durch diesen Wechsel ein Zeichen gesetzt werden. Und sie bleiben Teil der selben, nach außen und innen wirkenden, autoritären Struktur. Sie befehligen den Einsatz von Hunden, den Zugriff, die Zivi-Spitzel und haben sich freiwillig für eine stabilisierende Funktion als mehr oder minder großes Zahnrad im Getriebe entschieden. Sie stehen den notwendigen, revolutionären Veränderungen damit diametral entgegen.

In diesem Sinne: Still not <3-ing the Police!

Bulle steht auf einer Brücke, wo mit weißer Farbe steht "Niemand muss Bulle sein"

Wir müssen uns unabhängig machen von der Polizei!

Wir alle wissen, dass es auch in linken Gruppen und auf linken Veranstaltungen zu Gewalt und Übergriffen kommt. Wir sind geprägt von einem sexistischen, rassistischen, queerfeindlichen und kapitalistischen System und tragen diese Strukturen leider auch in unsere Gemeinschaften und Räume. Dagegen müssen wir uns organisieren: durch eigene Weiterbildung und Sensibilisierung, durch Prävention, aber auch durch Aufarbeitung und Anerkennung des Geschehenen (Stichwort: transformative justice). Wir müssen Wege des Umgangs finden, ohne auf Polizei und Justiz zurückgreifen zu müssen. Dafür braucht es das Vertrauen der Opfer in die Gemeinschaft, das schon so manches Mal verspielt wurde, wenn die Solidarität nur ein Lippenbekenntnis war. Wir müssen auch für die Sicherheit von betroffenen Personen sorgen – vor und nach Übergriffen. Wir müssen das Schweigen und die gegenseitige Rückendeckung innerhalb von Gruppen aufbrechen und stattdessen eine Mentalität von Verantwortlichkeit und gegenseitiger Hilfe aufbauen.