Einsatzkonzept: Demobegleitung

Im Gegensatz zu Nazidemos geht es bei linken Demos der Polizei eher darum, die Öffentlichkeit vor Beeinflussung durch die Demo zu „schützen“. Zentrales Instrument der Versammlungsbehörde zur Beeinflussung des Verlaufs von Demonstrationen im Vorhinein sind Auflagen bzw. neu “Beschränkungen (VersFG). Im Rahmen von linken Demonstrationen werden oft umfassende Auflagenpakete erteilt. Sie zielen nicht selten darauf ab, Menschen schon im Vorfeld von der Teilnahme abzuschrecken und der Polizei während der Demonstration einen möglichst ungehinderten „Zugriff“ zu ermöglichen. Außerdem wird ein ” Lagebild” (bzw. technisch:  “Gefahrenprognose”) erstellt und ggf. auch “Einsatzbefehle” erteilt, in denen die Rahmenbedingungen für verschiedene Szenarien und Einsatzmittel festgehalten werden. Im Rahmen eines solche Einsatzbefehls kann zum Beispiel im Vorhinein angeordnet werden: “Einsatz des Wasserwerfers nur, wenn der Polizeiführer das anordnet.”

Die Schikane setzt sich am Sammelpunkt der Demo fort, wo die Aktivist*innen von Bullen abgefilmt und durchsucht werden. Auf Vorkontrollen, also die Durchsuchung deiner Person und den mitgebrachten Sachen (insb. Taschen), muss mensch sich immer einstellen bzw. darauf, diese zu umgehen. Am Sammelpunkt finden sich in der Regel schon viele Einsatzkräfte zusammen, sodass wenig Raum für Demonstrant*innen bleibt. Oft verteilen sich diese in der Umgebung des angemeldeten Sammelpunkts und warten auf ein Startsignal um später in die Demo zu sickern. Anfangs – aber auch im Laufe der Demo – befinden sich meist auch die Führungskräfte unmittelbar am Auftaktort oder in der Umgebung.

Bei der Demo im Nachgang der sog. “Brandschutzprüfung” in der Rigaer 94 befand sich der Wagen der Einsatzleitung mit der Kennzeichnung “1” beispielsweise lange mitten im Geschehen und viele Führungskräfte sammelten sich dort herum. Noch höherrangige “Polizeiführer” parkten nur wenige hundert Meter weiter entlang der Route im Mercedes 816D mit der Kennzeichnung “0”. Sie wagten sich als die Demo passierte nah heran. Die Kommunikation zwischen Führungskräften erfolgt per Headset.

Regelung des Verkehrs

Setzt sich die Demo dann in Bewegung, sieht die Aufteilung der Bullen so aus, dass ein, zwei Querstraßen vor dem Demonstrationszug Fahrzeuge des Verkehrsdienstes fahren, welche die Route vorab für den Verkehr sperren. So zumindest der Fall bei manchen, insbesondere Demos mit mehreren Tausend Menschen, wo die Bullen im Vorhinein Raumkonzept erstellen. Bei kleineren oder radikalen Demos wird jedoch die Verkehrsführung bzw. die Nicht-Verkehrsführung gezielt als Instrument der Polizei eingesetzt. So kann durch eine schlechte Verkehrsführung die Demo ausgebremst oder gar Demonstrant*innen gefährdet werden. So befanden sich etwa bei der 1.-Mai-Demo Autos im Demonstrationszug. Inwiefern das Verzögern des Demonstrationszuges im Sinne der Polizei zur Befriedung beiträgt, ist fraglich. Zwar folgt Eskalation nicht nur aus Tempo, klar ist jedoch, dass für die Polizei an sich statische Situationen leichter zu kontrollieren sind. Stop & Go bedeutet aber nicht automatisch, dass Demosituationen statisch werden müssen. Fingerkonzepte bieten sich an, um mobil zu bleiben.

Demozug

An der Spitze des Demonstrationszuges fahren das Führungsfahrzeug und ein BeDoKw voraus. Dahinter gruppieren sich mehrere vollbesetzte Gruppenwagen und evtl. auch noch ein Kamerafahrzeug, das die Teilnehmer*innen auch während der Fahrt frontal abfilmt. Direkt an der Demo laufen Bullen zug- oder gruppenweise nebenher. Teilweise finden sich hier auch hochrangige Polizist*innen sowie die Zivibullen. Direkt vor der Demo fühlen sie sich besonders sicher. Im vorderen Drittel der Demo bilden sie oftmals sogar ein enges Spalier, wobei auch Greiftrupps mitlaufen. Dadurch lässt sich zum einen der gesamte Demozug äußerst effektiv überwachen, zum anderen grenzt es die Demo nach außen hin ab. Zudem erzeugt solch ein Wanderkessel auch immer ein abschreckendes Bild für die zuschauenden Bürger*innen: “Wenn hier so viele Polizist*innen nötig sind, dann müssen dahinter ja ganz schlimme gefährliche Leute stecken.” Hinter der Demo fahren auch wieder einige besetzte Gruppenwagen und evtl. auch noch Sonderfahrzeuge, wie ein KTW oder ein Auto der Verkehrsdienste, das meldet, wann der „öffentliche Nahverkehr“ wieder fließen kann. Bei einigen Demos (bspw. den jüngsten Intekiezionale Demos), vor allen diejenigen mit höherem Eskalationspotential, gab es in letzter Zeit auch engmaschige Polizeiketten am Ende der Demo. Diese hatten die Funktion den Weg nach hinten abzuschneiden und die Demo von hinten zusammendrückten. Von dort gingen auch BeDo-Einheiten und BFE in die Demo. Führt die Demoroute an potentiell gefährdeten Objekten (Regierungsgebäude, Banken, Nazikneipen und -wohnungen etc.) vorbei, werden diese Einrichtungen meist kurz vor Erreichen des Demozuges, von einem Polizeispalier umgeben. Manchmal wird das Objekt zusätzlich noch mit Fahrzeugen verstellt oder durch zuvor platzierte Hamburger Gitter abgesperrt.

BVG Auto am Demoende.
Die Demospitze: Blau: Ein GruKw der BPol zur Routensicherung; Violett: EHu-Bullen; Grün: LauKw; Gelb: Zivis in Westen; Grün-Oval: Ein weiteres EHu-Bullenspalier, das die andere Seite absichert; Hellblau: “Berater”; Rot: Matthias Wenske.

Von der Demo in die Offensive

Offensive Aktionen von einer Demonstration aus zu starten, ist im Hinblick auf den aktuellen Entwicklungsstand von Polizeitaktik und Ausrüstung erschwert: Von Körperschutzausstattung über Beweissicherungstechnik bis hin zu ausgeklügelten Greiftruppkonzepten. Die Demonstrant*innen sind die meiste Zeit über mit einer militärischen Übermacht konfrontiert, der nicht mehr viel entgegen zusetzen ist. Körperliche Übergriffen, Festnahmen und andere massive Eingriffe in den Verlauf von Demos gehören fast schon zur Routine. Die Polizei dreht auf und bekommt immer mehr Ausrüstung und Befugnisse. Auch wenn auf dem Papier (es nennt sich “Versammlungsfreiheitgesetz”) in Berlin einige Liberalisierungen beschlossen wurden, gibt es noch viel Raum für Schikane und Kriminalisierung. In anderen Bundesländern wurden gar die Strafen für Vermummung oder Passivbewaffung verschärft. Gleichzeitig ist auf Seite der Demonstrationsteilnehmer*innen zu beobachten, dass Bezugsgruppen als Plattform für kollektive Aktionskonzepte aus der Mode kommen und Menschen sich vereinzeln. Vielerorts wirkt das für Einschüchterung und Lethargie wie ein Katalysator.

Ob dennoch aus der Demo heraus Aktionen entstehen können, hängt maßgeblich von der Stimmung und der Anzahl der Leute ab. Wichtig ist daher, sich die ganze Straße zu nehmen -auch um eine Spalierbegleitung zu erschweren-, Transpis mitzubringen und Dynamiken mitzumachen. Zuletzt zeigten Erfahrungen, dass es gut ist, wenn es keinen Lauti gibt, der konstant die Demo beschallt, sondern Demonstrant*innen selbst für die Beschallung und Bespaßung zuständig sind. Dies kann auch durch mobile Infrastrukturteams gefördert werden, die Infos weitergeben und mit Megafonen Sprechchöre verstärken können.

Out of Control

Aus vielen vergangenen Demos wurde der Schluss gezogen, dass es weniger riskant und mitunter auch erfolgreicher sein kann, wenn zwischen der Action und  der Demo, auf der der Fokus der Polizei liegt, eine gewisse zeitliche und räumliche Distanz geschaffen wird. Wenn es also drei Querstraßen weiter knallt, während die Hauptmacht der Polizei es auf eine Eskalation an der Demo ansetzte. Natürlich gab es hierzu mit der Zeit eine polizeiliche Reaktion: So versuchen sie mit „szenekundigen“ Zivibullen vorab „potentielle Störer*innen“, also polizeibekannte Aktivist*innen, auf Demos zu erkennen und fortlaufend zu observieren. Da sie aber nicht allen Aktivist*innen eigene Aufpasser*innen an die Hacken heften können, konzentrieren sie sich dabei besonders auf bestimmte Personengruppen. Die Gegenmaßnahmen, solche Verfolger*innen im Anschluss an eine Demo wieder los zu werden, um wieder handlungsfähig zu werden, sind ziemlich simpel. Denn solange die Anhängsel in Zivil nicht hellsehen können, entgeht es ihrer Aufmerksamkeit, wenn sich eine Gruppe, die sich vor ihren Augen in alle Himmelsrichtungen zerstreut hat, wenig später an einem vorher verabredeten Ort wieder zusammenfindet, um gemeinsam noch etwas zu starten. Damit die Polizei ihren Rückstand nicht durch technischen Vorsprung wett machen, empfiehlt es sich Mobiltelefone vorher abzuschalten und die Akkus zu entfernen. Am besten lässt mensch derlei Dinge bei Aktionen aber eh zu Hause! Ein solches “Plan B”-Konzept mit abgemachten Treffpunkten lässt sich natürlich auch in größerem Rahmen planen!

Ebenso unter dem Stichwort “Vor der Demo in die Offensive” lassen sich Demonstrationen fassen, die sehr pünktlich losgehen. Hiermit rechnet die Polizei teils nicht – und viele Genoss*innen leider auch nicht.

Des Weiteren wurde in den vergangenen Jahren häufiger mit Konzepten unter dem Stichwort “Out of Control” herumprobiert. Out of Control umfasst eine Vielzahl von Aktionsmöglichkeiten und Handlungsformen, um selbstbestimmter und freier von polizeilicher Repression im öffentlichen Raum demonstrieren zu können. Bei Out of Control geht es dabei um eine Dezentralisierung des Geschehens, das Außer-Kontrolle-Sein für die Polizei.

Zu einer Demo in Hamburg 2007 heißt es hierzu: “Out of Control ist Ausbruchsstimmung. Wir wollen (…) die Praxis der Spaliere, Auflagen und Wanderkessel durchbrechen. Nicht mit dem Kopf gegen die Wand sondern überall sein, uns zusammenfinden und ebenso schnell zerstreuen. Wir sind immer dort, wo die Bullen mit dem Rücken zu uns stehen. Immer außerhalb von Kesseln und Einschließungen, immer am Rande der restlichen, gleichzeitig weiterlaufenden Demonstration. Immer in Kontakt und Rufweite. Immer versucht, mehr zu werden und Eigendynamik zu entwickeln. Dieses Konzept lebt davon, dass wir mit den Freiräumen, die wir uns aneignen, auch etwas anfangen. Wir haben einiges dazu im Kopf, aber wir sind uns ganz sicher, dass euch auch selber eine Menge und manches Überraschende dazu einfällt.”

Als flexible Reihen kann man sich auf verschieden Szenarien vorbereiten. Häufiger gibt es Freiraum auf den Gehwegen um die Demo herum. Auch zwischen den ersten Reihen und der Bullenbegleitung an der Spitze gibt es Lücken. Da kann Druck auf Spaliere aufgebaut werden. Das Konzept wurde in den letzten Demos in Berlin auch ausprobiert und es wurde die Erfahrung gemacht, dass sich auch spontane Momente durch gute und solidarische Kommunikation mit anderen Bezugsgruppen ergeben kann. Das Out-of-Control Konzept eignet sich sehr gut um auch mit unorganisierten Gruppen Momente zu entwickeln, die den Druck auf die Bullen erhöhen.

Erfahrungsgemäß ist es auch gut auf dem Schirm zu haben aus welchem Bundesland die Polizist*innen kommen, die gegen die Demos eingesetzt werden. An mit Demos und Fußball vollgepackten Wochenenden sind besondere oft Polizeikräfte aus anderen Bundesverländern unterweg. Dann können sich andere Szenarios ergeben, die viel offensiver sein können, da die Bullen sich einfach nicht auskennen. Ein Beispiel ist die Demo am 02.11.19 für die Liebig34, die von Bullen aus Schleswig Holstein begleitet wurde, die große Lücken gelassen haben, so dass Angriffe auf die Bullen von der Demo ausgehen konnten.

Angriffe auf Demonstrationen

Ist der politische/polizeiliche Wille vorhanden, eine Demo zu sprengen oder aufzuhalten (z.B. um sie von einem bestimmten Ort fernzuhalten), lässt die Polizei es auch mal gezielt eskalieren. Als Anlass müssen dann nicht selten „zu lange“ Seitentransparente, „verbotene“ Vermummung oder in Zeiten von Corona auch zu geringe Abstände herhalten, um den massiven Angriff auf die Unversehrtheit der Demonstrationsteilnehmer*innen juristisch zu legitimieren. Als Beispiel dienen hier die gezielte Auflösung der Migrantifa-Demo am 1. Mai 2021 in Neukölln oder wiederum die Sponti im Vorfeld der Räumung des Syndikats auf der Kreuzung Flughafenstraße. Der Übergriff läuft dann meist so ab, dass sich an einem taktisch günstigen Punkt entlang der Route Greiftrupps fertig machen. Diese stehen dann für gewöhnlich in Zweier- oder Viererreihen mit angelegten Handschuhen und Helmen bereit. Dann starten sie überfallartig, nicht selten von mehreren Seiten, einen Angriff auf die Demo, indem Greiftrupps rücksichtslos hinein rennen. Im entstehenden Gedränge wird dabei relativ „großflächig“, d.h. wahllos geprügelt. Ebenso werden bei dieser Gelegenheit oft Fahnen entrissen, Transparente gezockt und manchmal auch einzelne Menschen mitgenommen, und bspw. nach Konstrukten wie „Widerstand“ angezeigt. Das Ziel solcher Eingriffe sind in der Regel nicht Festnahmen, sondern einen Keil in die Demonstration zutreiben und für Orientierungslosigkeit und Vereinzelung zu sorgen.

Gruppe Bullenschweine mit gezocktem Transpi
Feste feiern, wie sie fallen: Cops haben einer Sponti am 03.10.2020 in Hohenschönhausen versucht, das Transpi wegzunehmen. Unter vollem Einsatz.

Manche Angriffe sind jedoch auch dazu gedacht, gezielt einzelne Personen festzunehmen. Siehe hierfür der Teil zu Greiftrupps. Habt ihr daher das Gefühl, dass euch die Bullen auf dem Schirm haben könnten, ist es ratsam frühzeitig (vor Demoende) und schnell wegzukommen oder in der Demo zu verschwinden. Dabei ist zu beachten, dass Betroffene teils (aber sehr selten) noch weit von der Demo weg verfolgt werden, um zu einem günstigen Zeitpunkt zuzugreifen. In diesem Sinne raten wir davon ab, nach einer Demo noch “rumzuhängen”. Aber auch für die anderen Demonstrant*innen ist spätestens das Aufsetzen der Helme durch die Cops ein eindeutiges Zeichen, wachsam zu sein und die Ketten ggf. zu schließen sowie die Ruhe zu bewahren.

Bildet Bezugsgruppen!

Meistens sind es Vereinzelung, Panik und Fluchtinstinkt, welche die Polizei bei uns auslösen will, um im Zuge eines Übergriffs leichter gegen uns vorgehen zu können. Polizeiübergriffen ist von daher am besten geschlossen und koordiniert zu begegnen. Eine Möglichkeit, dies zu tun, ist „Ketten“ zu bilden. Das heißt, dass die Aktivist*innen in Reihen, dicht zusammen laufen und sich gegenseitig unterhaken, damit es den Bullen nicht allzu leicht gemacht wird, in unsere Reihen vorzupreschen, zu spalten und einzelne heraus zu greifen. Ketten nützen allerdings auch nur dann etwas, wenn sie genauso im Laufe eines Übergriffs zusammenhalten. In der Praxis ist leider oft zu sehen, wie sich während Bullenübergriffen weiträumig die Ketten auflösen. Als Beispiel dient hier die “Rein in die Offensive”-Demo im Vorfeld der Räumung des Syndikats 2020, wo nur der erste und letzte Block koordiniert und ruhig beisammen standen. Daher sollten sich Aktivist*innen vorher darüber im Klaren sein, wo für sie die Grenzen liegen, sonst schätzen andere Aktivist*innen u.U. Kräfteverhältnisse falsch ein oder wiegen sich in trügerischer Sicherheit. Solche Fehleinschätzungen lassen sich z.B. vermeiden, wenn mensch nicht alleine, sondern in einer sog. Bezugsgruppe auf Aktionen geht: Gruppen, deren Angehörige Aktionslevel Schwächen und Stärken ihrer Mitstreiter*innen einschätzen können. Dazu braucht es zu Anfang nicht mehr als ein paar Menschen und gegenseitiges Vertrauen. Auf dieser Basis können individuelle Aktionslevel in der Vorbereitung kommuniziert und kollektive Verhaltensweisen für bestimmte Situationen abgesprochen bzw. vorbereitet werden. In der Praxis ermöglicht das eine schnellere Koordination und Konsensfindung, auch in hektischen Situationen.

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