Verfassungsschutz

Der Verfassungsschutz ist der politische Inlandsgeheimdienst. Seine Aufgabe ist es, andere Behörden und die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen von Personen oder Gruppen aufzuklären. Verfassungsfeindliche Bestrebungen sind Tätigkeiten, die auf die Beseitigung oder Außerkraftsetzung wesentlicher Verfassungsgrundsätze abzielen (u.a. Demokratie, Rechtsstaat, Menschenwürde… und für den VS auch der Kapitalismus).

Es gibt den Verfassungsschutz auf Bundes-, sowie auf Länderebene. Dies sind getrennte Behörden, die jedoch Informationen untereinander austauschen. Der Bundesverfassungsschutz ist zuständig, wenn sich die Tätigkeiten gegen den Bund richten oder länderübergreifend sind.

Befugnisse

Der Verfassungsschutz hat keine polizeilichen Befugnisse. Er ist nach dem sog. Trennungsgebot von der Polizei organisatorisch, kompetenziell und funktionell abgegrenzt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass zwischen den Behörden keine Informationen ausgetauscht werden. Es bedeutet nur, dass der Verfassungsschutz aufgrund anderer Rechtsgrundlagen tätig wird, in anderen Behörden organisiert ist und andere Ziele verfolgt. Während also die Polizei oder die Staatsanwaltschaft auf ein bestimmtes Verhalten einer Person reagieren, will der Verfassungsschutz die gesamte Szene durchleuchten und letzten Endes zerschlagen.

Die Befugnisse des Bundesverfassungsschutzes werden – zumindest grob – im BVerfSchG geregelt. Der Landesverfassungsschutz Berlin wird aufgrund des VSG Berlin tätig.

Die Befugnisse des Verfassungsschutzes umfassen die Informationsbeschaffung, -bearbeitung und -weitergabe. Dabei ordnet der Verfassungsschutz Personen oder Organisationen in verschiedene Kategorien ein, von denen abhängt welche nachrichtendienstlichen Maßnahmen möglich sind:

Die Kriterien für Prüffall, Verdachtsfall und Beobachtungsfall.

Bei nachrichtendienstlichen Maßnahmen, die das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis betreffen, oder eine besonders hohe Eingriffintensität haben, z.B. die Abfrage von Telekommunikationsverkehrsdaten, Fluggastdaten und Bankdaten, oder der Einsatz eines sog. IMSI-Catchers, wird der Verfassungsschutz durch die sog. G10-Kommissionen überprüft. Die G10-Kommission besteht aus (meist ehemaligen) Politiker*innen und agiert innerhalb des Funktionsbereichs der Exekutive, obgleich sie nicht in diese inkorporiert ist. Die politische Kontrolle obliegt dem Parlamentarischen Kontrollgremium. Die G10-Kommission entscheidet über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von konkreten Beschränkungsmaßnahmen.

Verfassungsschutz Berlin

Der Berliner Verfassungsschutz ist seit Dezember 2000 als Abteilung II in die Senatsverwaltung für Inneres und Sport integriert. Die Leitung des Verfassungsschutzes Berlin hat Michael Fischer seit dem 21.11.2018 inne.

Anschrift: Klosterstraße 47, 10179 Berlin

Verfassungsschutzberichte

Verfassungsschutzberichte werden i.d.R. jährlich von den 16 Länderverfassungsschutzbehörden und dem Bundesverfassungsschutz erstellt. Sie sollen durch Einbeziehung der Öffentlichkeit Verfassungsfeinde brandmarken. Durch die amtliche Benennung in einem solchen Bericht wird mit dem Wahrheitsanspruch einer staatlichen Institution verbreitet, dass die betroffene Person/Gruppe verfassungsfeindliche Bestrebungen zeige, sog. Markierungsfunktion. Selbst schreibt der Verfassungsschutz den Berichten auch eine sog. Warnfunktion zu, da auf zukünftige Gefahren für die demokratische Grundordnung reagiert werden soll. Zudem folgen einer Nennung in einem Verfassungsschutzbericht diverse Ausschlussmechanismen, sog. Sanktionsfunktion.

Am unmittelbarsten zeigt sich der Ausschluss von staatlichen Institutionen. Bei Beamt*innen, Richter*innen und Soldat*innen wird die Verfassungstreue zur Voraussetzung gemacht. Bei einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst kann eine Nichteinstellung oder Entlassung bei einer Nennung die Folge sein. Denn begründete Zweifel an der Verfassungstreue stellen einen personenbedingten Kündigungsgrund jedes öffentlichen Arbeitsverhältnisses dar. Allerdings betrifft eine Nennung auch alle mit dem Staat verknüpften Institutionen. So wurden in Sachsen Uniräume für die kritischen Einführungswochen von der Uni verwehrt, da einige beteiligte Gruppen vorher im Verfassungsschutzbericht erwähnt wurden. Für Bands kann eine Erwähnung bedeuten, dass Konzertveranstalter*innen die Verträge nach Bekanntwerden der Erwähnung im Bericht auflösen.

Im November 2019 erkannte das Berliner Finanzamt der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) den Status der Gemeinnützigkeit ab. Es begründete den Schritt mit der Nennung der Organisation als „bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus“ im bayerischen Verfassungsschutzbericht. Nach einer existentiellen Krise des Vereins aufgrund der Steuernachzahlungen, formte sich breite Kritik an diesem Vorgehen. Mittlerweile wurde dem Verein mit Wirkung für die Vergangenheit die Gemeinnützigkeit wieder anerkannt.

Aufgrund dieser schwerwiegenden Folgen für die betroffenen Personen, braucht es für die Erwähnung eine Ermächtigungsgrundlage, die die Voraussetzungen für eine Aufnahme im Bericht festlegt. Die Rechtsgrundlage für den Verfassungsschutz Bln findet sich in § 26 S. 1 i.V.m. § 5 Abs. 2 VSG Bln (Unterrichtung der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen). Für den Verfassungsschutz des Bundes gelten § 16 Abs. 1, 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 BVerfSchG.

Anquatschversuche

Immer wieder kommt es zu Anquatschversuchen durch staatliche Behörden gegenüber politisch aktiven Menschen. Ziel der Anwerbeversuche ist, Informationen über politische Initiativen und linke Strukturen zu gewinnen. Betroffen sein können davon prinzipiell alle, die in irgendeiner Weise politisch aktiv sind oder Kontakt zur linken Szene haben. Anquatschversuche kommen in der Regel unerwartet, da die Behörden es darauf anlegen, die Betroffenen zu überrumpeln und zu verunsichern. Umso wichtiger, sich gezielt auf einen möglichen Kontaktversuch vorzubereiten:

1. bereite dich auf verschiedenste Kommunikationsstrategien vor:

  • Lockmittel (Geld, Informationen, Straferlasse etc.)
  • Spaltung der Szene (gezieltes Ausnutzen interner Streitigkeiten, um Personen zu endsoldidarisieren)
  • Verständisvolle*r Sozialarbeiter*in
  • Drohungen (persönliches Umfeld, juristische Probleme etc.)

2. wie kann man reagieren?

  • Ruhe bewahren, durchatmen
  • jede Form eines Gespräches ablehnen (auch keine vermeindlich unbedeutsamen Infos geben)
  • Verfassungsschutz hat keine polizeilichen Befugnisse, schmeiß ihn raus!

3. wie soll man danach damit umgehen?

  • schreibe ein Gedächnisprotokoll (wer, wann, was, wie, wo)
  • mache die Sache öffentlich, damit sich deine Genoss*innen darauf vorbereiten können
  • auch wenn du aus Versehen Informationen gibst, mache genau öffentlich, was du gesagt hast
  • sprich mit deiner Gruppe, einer Anti-Rep-Gruppe vor Ort oder einer vertrauensvollen Rechtsanwältin

Adressen unter: www.rote-hilfe.de

Nach den geltenden Rechtsgrundlagen ist eine Erwähnung nur zulässig, soweit verfassungsfeindliche Bestrebungen sicher festgestellt werden konnten. Solange zwar tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen, solche Bestrebungen aber noch nicht sicher festgestellt werden können (sog. Verdachtsfälle) darf keine Erwähnung im Bericht stattfinden. Der Verfassungsschutzbericht ist kein Tätigkeits- sondern Ergebnisbericht. (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. 6. 2013 – 6 C 4.12). Nach dem Bundesverfassungsgerichtsbeschluss aus dem Jahre 2005 bzgl. der rechten Zeitung “Junge Freiheit” sei es aber aus verfassungsrechtlicher Sicht möglich, auch schon bei einem Verdacht Personen oder Gruppen in den Bericht aufzunehmen, sofern die tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen hinreichend gewichtig sind, um die Veröffentlichung in Verfassungsschutzberichten auch angesichts der nachteiligen Auswirkungen auf die Betroffenen zu rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2005 – 1 BvR 1072/01 – BVerfGE 113, 63 [80 ff.]). Dafür bedürfte es aber einer Änderung der Rechtsgrundlagen, denn sowohl nach Landes-, als auch Bundesverfassungsschutzrecht, dürfen derzeit Verdachtsfälle nicht im Bericht aufgenommen werden.

Skandale

Dass der Verfassungsschutz schon immer durchsetzt von Nazis war, ist kein Geheimnis. Neben den großen Skandalen des Bundesverfassungsschutzes (NSU, NPD Verbotsverfahren etc.), hat auch der Landesverfassungsschutz Berlin einigen Dreck am Stecken.

So wurden im Juni 2012  57 Ordner vom Berliner Verfassungsschutz geschreddert, die thematisch im Umfeld von NSU-Helfer*innen spielten. Darunter auch wohlmöglich Informationen zu dem V-Mann der Berliner Polizei, der mit Beate Zschäpe liiert gewesen war und dem NSU Sprengstoff geliefert haben soll. Die Akten hatten grundsätzlich die Aufbewahrungsfrist überschritten, jedoch hatte der NSU-Ausschuss angefordert, keine Akten zu vernichten. Das Landesarchiv stufte 32 dieser Akten als historisch wertvoll ein.

Im Januar 2021 wurde zudem der Berliner AfD-Fraktion ein internes Dokument des Landesverfassungsschutzes Berlin per Post übersendet. In diesem Dokument wurde der AfD bescheinigt, nicht als Verdachtsfall eingeordnet werden zu können, da sie keinen Vorsatz hinsichtlich der Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung habe. Neben der offensichtlich schlecht ausgeführten Recherche des Verfassungsschutzes, erscheint es brisant, dass der Referatsleiter für Rechtsextremismus vorher als Referatsleiter für Islamismus eingesetzt war und nach dem Attentat auf dem Breitscheidplatz gegen seinen Willen versetzt wurde. Ob dieser das Dokument weiter gegeben hat, wird noch ermittelt. Er wurde als Referatsleiter für Rechtsextremismus von seinen Diensten entbunden.

Ermittlungsmethoden

Den gößten Teil des Arbeitsalltags des Verfassungsschutzes macht die Auswertung öffentlicher Quellen bzw. des Internets aus. In vielen “Phänomenbereichen” ergibt sich hier ein umfängliches Bild. Manche Erkentnisse bekommt der VS vom Staatsschutz weitergereicht, wobei der Informationsfluss fast nur in eine Richtung stattfindet. Wo das nicht ausreicht, setzen die Schlapphüte auf Observationen (der VS verfügt dafür über einen Fuhrpark ziviler/getarnter Fahrzeuge), menschliche Quellen (Spitzel) und technische Mittel. In Fahrzeugen versteckte Kameras zum Filmen von “Szeneobjekten” dürften einen großen Stellenwert haben, zum Teil werden die Aufnahmen auch nur nach Bedarf ausgewertet.

Menschliche Quellen berichten gegen eine Gegenleistung ihren V-Person-Führer*innen über den Verlauf von Treffen, über gehörte Gerüchte und fertigen Berichte von Demonstrationen nebst Teilnehmer*innenlisten an.

Eine aktuelle Entwicklung ist die Gründung eines “Zentrum für Analyse und Forschung” – einer Forschungsstelle beim Bundes-VS. Diese soll die analytische Kompetenz des VS stärken. An sich bitter nötig. Was aber noch nötig wäre, wäre dass der VS erstens auf wirkliche, freie wissenschaftliche Erkenntnisse hört und sich als Konsequenz zweitens selbst abschafft. An der wissenschaftlichen Freiheit der geplanten Projektgruppe ist jedenfalls zu zweifeln. Bereits die Offenlegung, wie viele Personen dort forschen sollen, wird als Bedrohung des Staatswohls geheimgehalten.

Verdeckte Videoüberwachung

Der Hauseingang zu den Fussilet-Moscheeräumlichkeiten in der Perleberger Straße in Moabit wurde 2016 nicht nur heimlich durch die eine Kamera der Polizei aus dem gegenüberliegenden Dienstgebäude des Abschnitts 27 gefilmt, auch ein geparktes Fahrzeug des Berliner Verfassungssschutzes filmte den Eingang Tag und Nacht  und damit alle Passant*innen. Wohlgemerkt schon bevor der Moscheeverein durch den Anschlag Amris am Breidscheidplatz in das Licht der Öffentlichkeit rückte. Es ist davon auszugehen, dass sich die Behörden hier nicht koordiniert haben und gegenseitig nichts voneinander wussten. Die Moschee war im Verfassungsschutzbericht im selben Jahr erstmals als einer von vier wichtigen salafistischen Treffpunkten genannt worden.