Rechtlicher Rahmen
Bei aller Kritik an der Polizei darf auch die Kritik an der Staatsanwaltschaft nicht zu kurz kommen. Denn insbesondere die Staatsanwaltschaft ist für Strafverfolgung und Strafvollstreckung zuständig. Die Aufgaben der Staatsanwaltschaft umfassen dabei:
- die Durchführung des Ermittlungsverfahrens, indem die Staatsanwaltschaft bestimmt, ob und wie die Ermittlungen durch die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft durchzuführen sind
- die Anklageerhebung bei Gericht, sofern ein bestimmter Verdachtsgrad gegen eine Person erreicht ist
- die Vertretung der Anklage vor Gericht, indem die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift verliest, Frage- und Beweisrechte ausübt und ein Schlussplädoyer hält, wobei sie das größte Interesse aller Parteien an der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches hat
- die Strafvollstreckung bei Erwachsenen (im Jugendstrafrecht ist dies das Amtsgericht)
Die Staatsanwaltschaft ist bei ihrem Tätigwerden u.a. gebunden an den Legalitätsgrundsatz (sie muss bei tatsächlichen Anhaltspunkten einer Straftat immer Ermittlungen durchführen und bei einem gewissen Verdacht die Anklage erheben) und an den Ermittlungsgrundsatz (sie soll alle verfahrensrelevanten, dh be- und entlastende Indizien sammeln, daher recht zynisch als “objektivste Behörde der Welt” bezeichnet).
Auch die Staatsanwaltschaft hat für ihre Ermittlungstätigkeit die Möglichkeit Zwangsmaßnahmen anzuordnen. Zur Durchführung von Maßnahmen wie körperliche Untersuchungen, Beschlagnahmen, Abhöraktionen, Durchsuchungen von Wohnungen oder technischer Geräten nutzt sie ihre Ermittlungspersonen. Dies meint hauptsächlich Polizeibeamt*innen, die die Maßnahmen ausführen (daher die Bezeichnung der Staatsanwaltschaft als “Kopf ohne Hände”).
In der Praxis läuft die Zusammenarbeit so ab, dass die Polizei v.a. in Fällen der Kleinkriminalität erst einmal selbst ermittelt und dann innerhalb von 10 Wochen die Akte der Staatsanwaltschaft vorlegt. Die Staatsanwaltschaft entscheidet dann, ob es gilt weiter zu ermitteln, anzuklagen oder einzustellen.
Politische Behörde
Die Staatsanwaltschaft ist Teil der Exekutive und weisungsgebunden gegenüber den Justizminister*innen, sog. externes Weisungsrecht. Eine solche Weisung ist meist an den oder die Generalbundesanwält*in/ Generalstaatsanwält*in gerichtet. Diese*r wandelt diese externe Weisung in eine interne an die untergeordneten Staatsanwält*innen um. Gegenstand der Weisung kann nahezu alles in rechtlicher sowie tatsächlicher Hinsicht sein. Beispielsweise kann angeordnet werden, wie Tatumstände ermittelt, welcher Antrag bei Gericht gestellt oder wie das Recht ausgelegt werden soll. Besonders problematisch werden dabei die Weisungen in Einzelfällen angesehen, da hier unmittelbar politische Einflussnahme durch das Justizministerium auf die Staatsanwaltschaft ermöglicht wird. Wenn ein*e Staatsanwält*in die Rechtmäßigkeit einer Weisung bezweifelt muss sie zweifach remonstrieren, dh. den zwei nächsthöheren Beamt*innen vorlegen. Wenn diese an der Enscheidung festhalten, muss die Weisung befolgt werden, es sei denn der*die Staatsanwält*in würde sich durch die Befolgung strafbar machen, ordnungswidrig handeln oder das Verhalten verletzt die Menschenwürde, vgl. § 63 Abs. 2 S. 3, 4 BBG, § 36 Abs. 2 S. 3, 4 BeamtStG.
Aufbau
Der Aufbau der Staatsanwaltschaft ergibt sich unter anderem aus der StPO und dem GVG, sowie für die interne Organisation aus Verwaltungsvorschriften. Demnach ist für besondere Delikte von bundeseinheitlichem Interesse die Bundesanwaltschaft mit den dazugehörigen Bundesanwält*innen und dem*der leitenden Generalbundesanwält*in zuständig. Auf Länderebene gibt es die Generalstaatsanwaltschaft mit Sitz am Oberlandesgericht (Kammergericht in Berlin) mit den dazugehörigen Staatsanwält*innen und die Staatsanwält*innen und Amtsanwält*innen mit Sitz am Landgericht. Welche Staatsanwaltschaft die Ermittlungen übernimmt, hängt von den jeweils in Frage stehenden Delikten ab.
Bei der am Landgericht angesiedelten Staatsanwaltschaft gibt es an der Spitze Leitende Oberstaatsanwält*innen. Diese sind dann dem*der Generalstaatsanwält*in am Oberlandesgericht untergeordnet (Fachaufsicht). Die Generalstaatsanwält*innen sind den Landesjustizministerium untergeordnet (Dienstaufsicht).
Am Landgericht gibt es dann verschiedene Abteilungen, wobei jede Abteilung eine*n Oberstaatsanwält*in als Abteilungsleiter*in hat und dann mehrere Staatsanwält*innen in diesen Abteilungen arbeiten. Zumeist sind den Abteilungen einzelne Deliktsgruppen zugeordnet, z.B. Kapitaldelikte, Wirtschaftskriminalität, Jugendsachen. Zudem gibt es die Allgemeinen Strafsachen, bei denen keine Spezialisierung auf ein Fachgebiet gegeben ist, sodass diese auch als Buchstaben-Abteilungen bezeichnet werden.
Innerhalb der Abteilungen hat jede*r Staatsanwält*in ein Dezernat mit eigenen Fällen. Diese werden durch den*die Abteilungsleiter*innen nach dem Gerichtsverteilungsplan zugeteilt und dann in eigener Zuständigkeit, aber weisungsgebunden bearbeitet. Die Abteilungsleiter*innen (= Oberstaatsanwält*innen) haben also einige Macht.
Auf Bundesebene gibt es die Bundesanwaltschaft, wobei die Bundesanwält*innen dem*der Generalbundesanwält*in unterstehen, die wiederum dem Bundesjustizministerium unterstellt ist.
Berliner Staatsanwaltschaft
In Berlin gibt es die größte Staatsanwaltschaft bundesweit. Es gibt acht Hauptabteilungen, vier Standorte (die Hauptstelle am Kriminalgericht Moabit und drei Außenstellen Kirchstr. 7, Turmstr. 22 und Westhafen mit dem Archiv) und über 800 Mitarbeiter*innen, wobei 300 davon Staatsanwält*innen sind.
In Berlin gibt es auch eine Amtsanwaltschaft, am sog. “Campus Moabit” angesiedelt in der Kirchstraße 6, 10557 Berlin. Bei der Amtsanwaltschaft wird ein Großteil der Verfahren bearbeitet (analog s.u. wird der Großteil der Verfahren am Amtsgericht behandelt). Sie üben faktisch die gleiche Tätigkeit aus wie Staatsanwält*innen.
- Behördenleiter ist OStA Dr. Rüdiger Reiff.
- Seine Vertreterin ist OStA Katrin Faust.
In Berlin ist die Staatsanwaltschaft auch beim Landgericht angesiedelt, also in der Turmstraße 91, 10559 Berlin.
- Behördenleiter ist LOStA Jörg Raupach.
- Sein “Ständiger Vertreter” ist OStA als Hauptabteilungsleiter Michael von Hagen.
Es gibt mehrere Hauptabteilungen, davon 6 Ermittlungshaupabteilungen (3-8) und eine für Vollstreckung (9). Die HA Vollstreckung hat 2 Abteilungen, die 6 Ermittlungs-HA umfassen 35 Abteilungen, davon 13 für allgemeine Delikte, 7 fürs Jugendstrafrecht (hier läuft die Zuständigkeit über die Zuordnung zu den Polizeidirektionen) und einige Spezialabteilungen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin ist am Kammergericht angesiedelt, in der Elßholzstraße 30-35, 10781 Berlin.
- Behördenleiterin ist Margarete Koppers. Koppers war bis 1.3.2018 Polizeivizepräsidentin unter Glietsch und Klaus Kandt, leitete zudem die Polizei Berlin kommissarisch nachdem Glietsch 2011 abgesetzt wurde. Sie kommt also viel rum in Justiz und Verwaltung, spezielles Themengebiet von ihr war “Clankriminalität” und sie war auch in die sog. “Schießstandaffäre” verwickelt.
- Ihr Vertreter ist LOStA Dirk Feuerberg.
- Außerdem erwähnenswert ist: OStA Matthias Fenner, der jahrelang die linke Szene terrorisiert und bei Nazis weggeschaut hat.
Bei der Generalstaatsanwaltschaft sitzt auch die Zentralstelle Korruptionsbekämpfung, die Zentralstelle Bekämpfung der OK und der/die Antisemitismusbeauftragte.
Neben den Staatsanwält:innen gibt es zusätzliches Personal (500 von 800 Personen), das ebenso wichtig ist für die Verfahrensbearbeitung: Rechtspfleger:innen, Geschäftsstellenbeamt:innen, Schreibkräfte, Buchhalter:innen und Wachtmeister:innen.
Ein Teil der Staatsanwält:innen hat sich in der “Vereinigung Berliner Staatsanwälte” zusammengetan. Hier sind ca. 160 Mitglieder (nach eigenen Angaben). Vorsitzender ist OStA Ralph Knispel (Abt. 234), 1. Stellverter ist OStA Georg Bauer (Hauptabteilungsleiter), 2. Stellvertreter ist OStA Rudolf Hausmann (Abt. 261), Kassenführerin ist StA Andrea Hanfeld (Abt. 277), Schriftführerin ist StA Anne Wickinger (Abt. 212).
Strafrecht & Staatsanwaltschaft im NS
Das Strafgesetzbuch ist im Kern vom Kaiserreich, über das NS-Regime bis zur Bundesrepublik bestehen geblieben. Über unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln fand die völkische NS-Ideologie Eingang. Das Gesetz wurde anhand des “Führerwillens” und des NSDAP-Parteiprogrammes ausgelegt, im Zweifel konnte der Einspruch Adolf Hitlers jedes Urteil kippen. Im Strafrecht wurden zudem tiefgreifende Änderungen vorgenommen. Zum Beispiel konnte jeder nach dem “gesunden Volksempfinden” bestraft werden, auch wenn die Tat nicht als solche im Gesetz unter Strafe stand (Aufhebung des sog. Analogieverbotes). So wurde die gesamte Strafjustiz Teil der politischen Verfolgung. Zwar kam der Polizei, der Gestapo und der SS bei der Repression von Gegner:innen und Opfern des NS-Regimes zweifelsohne die primäre Rolle zu. Dennoch diente die Justiz der Legitimation des politischen Mordes und gab den Verfahren den Anschein eines formal geordneten, rechtsförmigen Prozesses. Der Staatsanwaltschaft im Besonderen kam die Rolle zu, hohe Strafen, nicht selten die Todesstrafe, zu fordern und wurde mit besonders führungstreuen Persönlichkeiten besetzt.
Ein solcher NS-Staatsanwalt, der später noch Karriere in der Bundesrepublik machte, ist Eduard Dreher. Zunächst Staatsanwalt in Leipzig und Dresden, bewarb er sich 1940 an das Sondergericht in Innsbruck. Aus dieser Zeit sind mehrere Fälle bekannt, in denen er für kleine Vergehen, wie zum Beispiel Lebensmitteldiebstähle, die Todesstrafe forderte. 1951 wurde er in das Bundesministerium der Justiz geholt. Zuständig für die Reform des Strafgesetzbuches, verantwortete er die sog. Kalte Amnestie: Eine scheinbar kleine Änderung in der Strafbarkeit von Gehilf:innen zum Mord (als solche stufte die Rechtsprechung alle ein, die nicht Hitler, Heydrich & Co. waren), hatte zur Folge, dass die Taten von hunderten Nazis verjährten und diese damit faktisch amnestiert wurden. Dreher ist damit exemplarisch für die vielen NS-Juristen, die die junge Bundesrepublik in ihrem Sinne formten.
Demgegenüber steht die Biografie Fritz Bauers. Von Nazis verfolgt, emigrierte er nach Dänemark und kehrte 1949 in die Bundesrepublik zurück. Als Staatsanwalt arbeitete er unerlässlich an der strafrechtlichen Verfolgung von NS-Täter:innen, die nicht selten Teil seiner eigenen Behörde – der Staatsanwaltschaft – waren und die juristische Aufarbeitung des NS-Unrechts systematisch verhinderten. Erst mit der Gründung der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen 1958 änderte sich dies. Viele Taten waren zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits verjährt.
Die heutige Staatsanwaltschaft steht in diesem Erbe. Die innerjuristische Aufarbeitung hat jedoch kaum, und wenn zu spät, stattgefunden.
Zur vertiefenden Lektüre
- Broschüre der Kritischen Jurist*innen: Das rechte (Un)Recht
- Görtemaker, Manfred / Safferling, Christoph: Die Akte Rosenburg
- Müller, Ingo: Furchtbare Juristen
- Braunbuch DDR: Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik
- Steinke, Ronen: Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht