Einsatzkonzept: Häuser abriegeln

In besetzten Häusern versuchen Menschen nicht selten alternative Lebensformen zu entwickeln und auszuprobieren – fernab der kapitalistischen und patriarchalen Leistungsgesellschaft oder der Kontrolle des Staates. Daher stellen sie für die herrschende Ordnung oft eine gewisse Provokation dar. In den meisten Fällen führt der daraus resultierende Konflikt früher oder später dazu, dass diese Projekte geräumt werden oder aus anderen Anlässen (z.B. Durchsuchung, jüngst auch vermehrt “Brandschutz”) mit der Staatsmacht aneinander geraten. Besonders in den 70er und 80er Jahren wurde den Bullen vielfältiger Widerstand entgegen gebracht, wenn sie es für nötig hielten, gegen solche Objekte vorzugehen.

War eine Räumung absehbar, begannen Vorbereitungen zur passiven Verteidigung der Häuser: Sämtliche Zugänge, Dachluken, Fenster wurden gegen Eindringen von außen gesichert. Die Treppenhäuser durch Falltüren und Material (Kühlschränke, mit Wasser gefüllte Fässer) unpassierbar gemacht und viele weitere Installationen getätigt, die den Bullen das Eindringen erschweren. Am Tag X begannen die aktiven Verteidigungskonzepte, die auch bei spontanen Durchsuchungen besetzter Häuser zur Anwendung kamen: Die anrückende Polizei wurden aus den oberen Stockwerken heraus mit Wurfgeschossen eingedeckt. Unterstützer*innen von außen wurden mobilisiert, die die Einheiten während des Einsatzes von außen angriffen, um sie zu stören und weitere Polizeikräfte zu binden; ebenso wie dezentrale Riot-Konzepte (Scherbendemos) und angemeldete Groß-Demonstrationen. An je mehr Ecken etwas los war, desto mehr geriet die Polizeiführung ins Schwitzen. Und jede Räumung hatte ihren Preis…

Dieses Szenario ist in Berlin derzeit so nicht mehr denkbar. Es gibt schlicht nur noch wenige autonome Hausprojekte und die Räumungen folgten gerade unter rot-rot-grün von 2016 bis 2021 in dichtem, auszehrendem Abstand aufeinander. Betroffen sind nicht mehr nur autonom besetzte Häuser, sondern auch linke Kneipen und Jugendclubs. Der Hintergrund ist nun auch meist Gentrifizierung/die Durchsetzung von Eigentumsverhältnissen – generell stehen Zwangsräumungen fast täglich in Berlin an.

Die Polizeistrategien im Umgang mit besetzten Häusern sind oft sehr unterschiedlich. Aus der Erfahrung lässt sich zwischen schon lang besetzten und etablierten Häuser und Spontanbesetzungen differenzieren. Die Intensität der polizeilichen Maßnahmen hängt aber in beiden Fällen auch von der Gefahrenprognose der Cops ab.

Etablierte Besetzungen

Bei etablierten Besetzungen hat die Polizei natürlich den Vorteil, dass sie weit im Voraus planen können und die Umstände (bspw. Uhrzeit und Datum) selbst festlegen können. Gleichzeitig zwingt die ebenfalls lange Vorbereitungszeit für Gegner*innen der Räumung die Polizei bei jeder anstehenden Räumung in solchen Objekten zu intensiven Vorbereitungen. Aber es gab auch in lezter Zeit positive Entwicklungen: So kam bei einer Brandschutzbegehung im Juni 2021 die Rigaer 94 der roten Zone der Polizei mit einer Autonomen Zone zuvor und konnte im Vorfeld der Demo in die Offensive gehen, Raum markieren und ein Zeichen setzen. Es ist also möglich, der Polizei auch voraus zu sein. Zudem hat auch die Polizei trotz Verstärkung aus anderen Bundesländern Kapazitätsgrenzen.

Aufklärung/Observation

Dem Einsatz gehen in der Regel verdeckte Aufklärungsmaßnahmen voran. Über einen längeren Zeitraum sammelt die Polizei Informationen über die Gegebenheiten vor Ort. Dabei nutzt sie die Möglichkeiten der direkten/technischen Observation oder bekannte Grundrisse und Lagepläne. Bekannt wurden auch im Rahmen der Syndikats-Räumung und bei der Liebig34, dass kurz vorher in anliegenden Wohnungen Überwachungsposten bezogen wurden, und wahrscheinlich beim Straßenfest der RigaerR94 kurz vor der Begehung auch Polizist*innen oder Spitzel die Räumlichkeiten ausgecheckt haben. Von Interesse sind ggf. Barrikaden, Zugangsmöglichkeiten und Fluchtwege (z.B. vorbereitete Mauerdurchbrüche). Die weitere Aufklärung zielt auf die Anzahl der Hausbewohner*innen samt ihrer Tagesabläufe und einer Prognose, wie stark das Unterstützer*innenumfeld im Falle einer Konfrontation wäre und mit welchem Aktionsrepertoire von daher zu rechnen ist. Diese Einschätzungen spielen für den Polizeieinsatz eine wesentliche Rolle bei der Festlegung des Zeitpunktes (s. Tagesabläufe), der Art der eingesetzten Einheiten und des unmittelbaren taktischen Vorgehens vor Ort. Auch wird das Gebiet teils im Vorfeld stärker bestreift und auch neue Hundertschaften mit dem Gebiet vertraut(er) gemacht. Grundsätzlich sind aber vor allem die Einsatzleitungen vorbereitet, nicht unbedingt alle eingesetzten Polizist*innen selbst.

Die grundlegenden Aufgaben bei jeder Räumung bzw. Durchsuchung sind folgende:

  • Rote Zone
  • Abriegelung des Objektes
  • Abschirmung des Einsatzortes nach außen
  • Regelung des Verkehrs
  • Eindringtrupps
  • BeDo-Festnahme-Durchsuchungs-Trupps
  • Aufnahme der Gefangenen
  • Reserven und Raumstreifen
  • Nachaufsicht

Unter Berücksichtigung dieser Punkte beginnt der Polizeieinsatz meist in den frühen Morgenstunden eines Wochentages, damit möglichst wenig Menschen auf den Beinen sind. Die Einheiten gruppieren sich nach einer längeren Anreise meistens vorher an nahe gelegenen Orten, von denen aus der spätere Einsatzraum jeweils rasch zu erreichen ist. Heutzutage finden selten spontane oder überraschende Angriffe auf linke Projekte statt. Vorausgegangen ist heutzutage meist ein juristischer Prozess und es gibt ein Datum für den Tag X. Entsprechend versucht die Polizei auch nicht mehr, die Bewohner*innen zu überraschen, sondern sich im Vorhinein bestmögliche Bedingungen zu schaffen.

Rote Zone

Bei geplanten Räumungen wird im Vorhinein mittlerweile oft eine sog. Rote Zone errichtet. Das sind No-Go- und No-Parking-Areas. Faktisch werden hierbei ganze Kieze abgesperrt, Autos abgeschleppt, Straßen nur für Anwohner*innen passierbar gemacht und ein Belagerungszustand herbeigeführt. Inwiefern dies rechtsstaatlich ist, ist unklar. Die Straßenschilder werden mindestens drei Tage vorher aufgestellt, teils noch länger.

Abriegelung des Objektes

Eine Einsatzhundertschaft übernimmt die Abriegelung des Objektes. Sie soll verhindern, dass Menschen unerkannt die Flucht gelingt. Dies gilt auch als eine der ersten Aufgaben bei spontanen Besetzungen.

Abschirmung des Einsatzortes

Weitere Kräfte der Einsatzhundertschaften sperren den Einsatzort weiträumig ab (teils weiter als die ggf. zuvor errichtete Rote Zone). Meist machen sie einfach sämtliche Zugänge zur betreffenden Straße dicht. Sie sollen verhindern, dass weitere Unterstützer*innen an/in das Haus gelangen oder die anderen Polizeikräfte durch Einwirkung von außen behindert werden. Als Teil dieser sog. „Äußeren Absperrung“ kommen dicht geparkte Gruppenkraftwagen und Hamburger Gitter zum Einsatz. Dies und die Abriegelung des Objekts haben als Teil der sog. Eigensicherung höchste Priorität.

Zur Abschirmung kann auch die Kappung oder Überwachung von Infrastruktur gehören: Strom kappen, Freifunk abschneiden, Router runterfallen lassen – der Kreativität und Tölpelhaftigkeit sind keine Grenzen gesetzt.

Absperrung Rigaer Str./Proskauer Str. mittels Hamburger Gitter (nur oben verhakt, unten offen für schnelle Öffnung)

Regelung des Verkehrs

Aufgabe des jeweils zuständigen Verkehrsdienstes. Wie so oft bilden die Verkehrsbullen dabei den „äußeren Ring“ der Bullenarmee. Sie lotsen den Straßenverkehr um die „Äußere Absperrung“ herum.

Eindringtrupps

Techniker*innen der Technischen Einsatzeinheiten samt schwerem Gerät fehlen bei keiner Räumung aber auch bei Durchsuchungen werden sie oft als „Schlüsseldienst“ angefordert. Ihr Repertoire umfasst einerseits Werkzeuge zum Beseitigen von Barrikaden (Kuhfüße, Kettensägen, Flex und neuerdings auch ein Druckstempel) aber auch Spezialfahrzeuge wie z.B. Sonderwagen mit sogenanntem Rammsporn, der zum Eindrücken von (befestigten) Türen dient. Ihr Part ist es, den Zugang zum Gebäude zu ermöglichen und es von sämtlichen Barrikaden zu räumen. Zeitgleich, während die TEEs anfangen sich mit schwerem Gerät von „unten“ in das Objekt vor zu arbeiten, startet oftmals gleichzeitig der Angriff der SEKs oder BFE-Einheiten von „oben“. Über benachbarte Dächer oder Hubschrauber gelangen sie auf das Dach des Objektes und arbeiten sich mit leichtem Werkzeug (Rammbock, Brecheisen) nach unten vor. Sie sind auch ausgebildet, sich via Fassade durch Fenster in Gebäude abzuseilen; auf dem Dach selbst sind sie teils ungesichert unterwegs. Teils werden auch Hebebühnen eingesetzt, wie bei der Räumung der Liebig 34 im Herbst 2020. Beim Eindringen ist die kurze Distanz ein Nachteil für die Polizei.

Dem SEK kommt bei Räumungen und Durchsuchungen oft die Rolle zu, vom Dach aus die Lage zu überblicken, eine Flucht nach Oben zu verhindern sowie ggf. eben selbst von oben einzudringen. Dabei steht jedoch die Sicherung im Vordergrund. Ziel ist nicht, mit einigen wenigen Polizist*innen von oben einzudringen. Wenn es reingeht ins Objekt, dann direkt und mit vielen Personen, um schnellstmöglich Kontrolle zu erlangen. Diese Dach-Aufgabe kann aber auch von den BFE-Einheiten der Bundespolizei wahrgenommen werden, die dann nur nachts vom SEK abgelöst werden. Teilweise kommt dem SEK auch die Rolle zu, Räume dynamisch zu „sichern“ und sämtliche Menschen im Objekt zu überwältigen. Dabei gehen sie mit vorgehaltener Waffe vor nach dem Schema: 1. Tür aufbrechen – auch mit Zusatz von Blendgranaten, um Menschen im Objekt zu überrumpeln. 2. Im Raum verteilen, 3. Menschen (mit automatischen Waffen) in Schach halten – andere SEK-Bullen bringen dabei die Menschen im Raum unter Kontrolle: kurz durchsucht, auf den Bauch gelegt, mit Kabelbindern fixiert. In jüngerer Vergangenheit hat das SEK sich jedoch auf die Sicherung des Daches beschränkt. Sie haben allerdings auch von dort martialische Drohgebärden ausgeübt, indem sie z.B. ihre Waffen auf Menschen in dem Haus richteten, die dann den typischen roten Punkt auf ihrer Brust hatten.

BeDo-, Festnahme-, Durchsuchungs-Trupps

Wenn der Zugang zum Gebäude hergestellt ist, dringen die BeDo-, Festnahme-, und Durchsuchungstrupps ein. BeDo-Trupps dokumentieren im Sinne der Beweissicherung und Dokumentation die vorgefundene Situation und den Einsatzverlauf, Festnahmetrupps kümmern sich um den Transport der Menschen im Haus zu den Bearbeitungs- bzw. Gefangenenkraftwagen. Und die Durchsuchungstrupps beginnen mit der Durchsuchung des Objektes nach Verstecken und sonstigen „Beweismitteln“. Es können aber auch Schutzaufgaben im Vordergrund stehen. In der Regel handelt es sich bei diesen Einheiten um Angehörige der Einsatzhundertschaften und lokale Polizist*innen, nicht Verstärkung aus anderen Bundesländern.

Blick in den Hof der Rigaer 94. Unter einem Sonnenschirm haben sich Polizist*innen versammelt.
Führungskräfte der Polizei sammeln sich – ohne Helm – unter einem Schirm im Hof der 94

Aufnahme der Gefangenen

Die schon erwähnten Bat- und GefKw müssen je nachdem, wieviele Festnahmen die Polizei erwartet in entsprechender Anzahl vorhanden sein, um die „Aufnahme“ der Gefangenen und ggf. deren Transport zur GeSa zu organisieren. Sie befinden sich meistens innerhalb der äußeren Absperrung.

Reserven und Raumstreifen

Zahlreiche Gruppenkraftwagen patrouillieren durch den Kiez. Diese Einheiten haben die Aufgabe mobilisierte Unterstützer*innen zu zerstreuen. An einigen Stellen verbleiben vollständige Einsatzhundertschaften in Bereitschaft, sie werden als Reserven für spontane Protestaktionen (Riots, Demos etc.) bereit gehalten und gruppieren sich oft an Stellen, von denen aus eine schnelle Verlegung möglich ist z.B. Hauptstraßen.

Nachaufsicht

In der Zeit nach einer Räumung (z.T. noch Tage danach) erhält ein geräumtes Objekt von der Polizei sogenannten „Objektschutz“. Es wird also bewacht, komplett baulich zugemacht, teilweise werden zusätzlich Secus dort stationiert. Dieser soll a) eine Wiederbesetzung verhindern und ggf. b) Sanierungs-, Abriss- oder Verbarrikadierungsarbeiten durch den*die Besitzer*in schützen. Allerdings gilt auch hier, dass die Kapazitäten und Fähigkeiten begrenzt sind: So wurde bei der Internationalen Interkiezionale Demo einen Monat nach Räumung der Liebieg 34 während einer vorbeiziehenden Demonstration ein Transpi vom Dach entrollt.

Die bereits geräumte Liebig 34 angestrahlt bei einer Demo. Autonome haben ein langes Transpi vom Dach gelassen.
Transpi Liebig34 31.10.

Leerstand wird übrigens auch bei Demos durch die Polizei geschützt, allerdings nicht immer besonders gut, wie eine Besetzung bei der Mietenwahnsinnsdemo 2019 zeigte.

Begleitende politische Polizeiarbeit

Bei Räumungen, Durchsuchungen und Begehungen wirkt die Polizei immer immens auf die Verhandlungen und auch bereits auf die Verhandlungsmöglichkeiten ein. Teils werden auch vor Verhandlungen Fakten geschaffen. Dies ist generell in ihrem Interesse und auch leicht(er) möglich, weil dies wenig sichtbar und schlecht dokumentiert ist.

Auffällig ist zudem die intensive Pressearbeit und gezielte Wordings. Die Einsätze werden auch auf dieser Ebene intensiv vorbereitet und genutzt. So wurde im Rahmen von #besetzen auf Anweisung von oben nicht mehr von Besetzungen, sondern von Einbruch gesprochen, um ein gewisses Framing zu erreichen. Das hebeigeschworene Feindbild Linksextremist*in nehmen aber selbst die eingesetzten Polizist*innen nicht immer so bierernst, wie die eifrige Presse.

Spontanbesetzungen

Grundlegend anders ist die Situation natürlich im Zuge von spontanen Besetzungen, wie sie von #besetzen erprobt wurden. Spontan ist die Besetzung meist nur für die Polizei, sodass sie hier keine Möglichkeit der Vorbereitung haben und in einigen Punkten die Taktiken abweichen können. Zudem gibt es keine einheitliche Taktik. Sie hängt meistens auch davon ab, was Besetzer*innen nach außen kommunizieren. Dabei kann deutlich werden, dass es sich um eine symbolische Besetzung handelt, um eine Besetzung von Leerstand mit langfristigen Nutzungswillen oder auch um stille Besetzungen oder Scheinbesetzungen. Meist steht jedoch zunächst die Eigensicherung im Vorderund. Es geht darum einen Eindruck der Situation zu gewinnen, möglichst Personen festzusetzen und teilweise geht die Polizei auch schnell und eigenmächtig in die Gebäude rein.

Ein juristisch-taktisches Problem stellt für die Polizei oft die Unkenntnis über den*die Eigentümer*in des Hauses bzw. dessen/deren Nicht-Erreichbarkeit dar. Im Falle eines Hausfriedenbruches, den Spontanbesetzungen regelmäßig darstellen, bedarf es für das Einschreiten der Polizei eines Strafantrags. Dieser muss jedoch durch den Eigentümer oder einen ordnungsgemäß bevollmächtigten Vertreter gestellt werden. Im Zuge der #besetzen-Aktionen fertigte die Polizei auch eine Liste mit Eigentümer*innen von leerstehenden Objekten, um im Zweifel schnell reagieren zu können. Teilweise denkt sich die Polizei aber auch andere rechtliche Vorwände aus um auch ohne Strafantrag bzw. ohne die Eigentümer*in zu erreichen in das Haus eindringen zu können.

Mit der voranschreitender Zeit der spontanen Besetzung werden natürlich viele der vorher zu den etablierten Besetzungen beschriebenen Maßnahmen ergriffen. Eine weiträumige Rote Zone wurde allerdings noch nie ad-hoc etabliert. Im Gegenteil, zur Unterstützung der Besetzung gab es regelmäßig angemeldete Versammlungen vor den Häusern. Die Polizei versucht in solchen Situationen dennoch ein Zufließen von neuen Gruppen vor das Haus zu verhindern. Das ist jedoch so offensichtlich rechtswidrig, dass sie es meist nur zum Zeitgewinn nutzen können.

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