Polizeigewalt und Übergriffe

Für viele Menschen der Dominanzgesellschaft bedeutet Polizei “Sicherheit”. Diese Menschen haben oft wenig Berührungspunkte mit der Polizei, beziehungsweise rufen sie womöglich selbst herbei. Wer allerdings mit und von der Polizei konfrontiert wird, wird diese Einschätzung kaum nachvollziehen können: Regelmäßig kommt es bei Polizeieinsätzen zu erheblicher körperlicher Gewalt und diskriminierenden Kommentaren. Besonders betroffen sind migrantisierte Personen, Sexarbeiter*innen, Drogenkonsument*innen und obdachlose Menschen. Aber auch auf linken Demos ist Gewalt das Mittel der Wahl für die Polizei. Wenden Polizist*innen Gewalt an, ist jedoch oft von “unmittelbarem Zwang mittels körperlicher Gewalt” die Rede. Dies soll Legalität und damit Legitimität suggerieren, die teils nicht vorhanden sind. Doch werden Gesetzesverstöße durch Polizist*innen kaum verfolgt; im Gegenteil, stellen Betroffene eine Anzeige gegen Cops, müssen sie mit einer Gegenanzeige rechnen, etwa wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte. Ist die Beweislage ausnahmsweise so erdrückend, dass Polizist*innen gegen ihre eigenen Leute ermitteln müssen, werden solche Vorfälle medial als “Einzelfälle” verharmlost und schließlich nicht selten eingestellt. Dabei wird übersehen, dass gerade die Polizei die Aufgabe hat, die herrschende Ordnung durch Gewalt aufrechtzuerhalten. Um die Funktion der Verteidigung von Recht und Ordnung erfüllen zu können, hat die Polizei das staatliche Gewaltmonopol inne – ein Umstand der das Berufsbild sicher für so manch eine*n attraktiver macht. Wo sonst kann man* völlig ungehindert (gewaltförmige) Macht über Mitbürger*innen ausüben?

Berliner Cop Culture: Weiß, männlich, gewaltbereit: Die Berufsanfänger*innen der Berliner Polizei schwören ihren Eid beim Festakt 2016.

Das Thema Polizeigewalt ist vielfältig. Es sollen einige Aspekte herausgegriffen werden, dabei liegt insbesondere ein Fokus auf Berlin. Das erste Unterkapitel widmet sich zunächst der Gewalt bei politischen Protesten. Sind sich viele Linke beim Thema Polizeigewalt einig, wird die Frage nach Gewalt durch Linke bei politischen Protest unterschiedlich beantwortet und ist weiterhin Gegenstand von Diskussionen. Im zweiten Teil wird rassistische Polizeigewalt ein Thema sein. Im letzten Teil fällt der Blick auf die Polizeiforschung, die versucht strukturell zu erklären, wie es zu polizeilichen Übergriffen kommen kann und warum Cops so oft straffrei bleiben. Zuletzt werden einige rechte cops in Berlin vorgestellt.

Deutschlandkarte mit dem eingefügten Wort Einzeltäter an allen Tatorten rechter Gewalt
Deutschland – Land der Einzeltäter

Gewalt und Gegengewalt

Gewalt wird schon lange als Mittel des politischen Protests verwendet und ebenso lange als Mittel der Unterdrückung. In bürgerlichen Staaten wird dabei das staatliche Gewaltmonopol als legitim angesehen, andere Formen der Gewalt als strafbar ausgeschlossen. Eine Norm, die dies insbesondere für Protestkonstellationen ausdrückt, ist die des Landfriedensbruch in § 125 StGB. Der Landfriedensbruch ist eine besondere Norm: Er geht auf den ersten Blick nicht über bekannte Straftatbestände wie Sachbeschädigung, Nötigung oder Körperverletzung hinaus. Auf den zweiten Blick tritt jedoch der hochpolitische, obrigkeitsstaatliche Charakter hervor: Bestraft wird nach § 125 StGB nicht nur diejenige, die aus einer Menschenmenge heraus Gewalttätigkeiten ausübt, sondern auch diejenige, die zu den Gewalttätigkeiten anstiftet oder sie dabei unterstützt (sog. Teilnehmerin). Seit einem Urteil des Bundesgerichtshofes im Jahr 2017 erfüllt ein “ostentatives Mitmarschieren” eine solche Unterstützung der Gewalttätigkeiten und Bedrohungen. Es wird nach wie vor darüber gestritten, was genau unter dem ostentativen Mitmarschieren zu verstehen ist. Diese rechtliche Unsicherheit gibt der Polizei die Chance, beim bloßen Dabei-Sein schon Ermittlungsverfahren einzuleiten und somit gegen ganze Demo-Teile Ermittlungsmaßnahmen anzustrengen (bspw. beim Fahrradkorso-Verfahren). In den ursprünglichen Versionen des Paragrafen von 1870 wurde dies noch deutlicher, dort war schon das “Zusammenrotten” strafbar. Der Landfriedensbruch hängt also wie ein Damoklesschwert über autonomen Protesten – auch aufgrund der Unbestimmtheit.

Die gesamtgesellschaftlichen Diskussionen um Gewalt bei unseren Demos stellt auch viele linksradikale Personen und Bündnisse immer wieder vor Herausforderungen. Die “Gewaltfrage” stellt sich bei vielen Demos und Protesten, schwächt unsere Positionen bereits im Vorhinein und führt zu Spaltungen und vorauseilender Anpassung. Dabei wiederholen sich verschiedene Muster immer wieder: Zum einen wird gewaltvoller Protest als nicht (mehr) politisch diffamiert. Die Rede ist vielmehr von “Chaoten” oder “Krawall“. Zum anderen wird – meist gegenüber brutalem Eingreifen der Polizei – die eigene Friedlichkeit betont (“Wir sind friedlich, was seid ihr?!“).

Beide Male geht es am Ende darum, zwischen “guten” und “schlechten” Protestierenden zu unterscheiden. Damit einher geht eine Entsolidarisierung mit den Genoss*innen und Protestierenden, die sich für eine andere Aktionsform entschieden haben, als man selbst. Sie werden der öffentlichen Diskussion ausgeliefert, der körperlichen Gewalt der Polizei sowie der strafrechtlichen Repression. Hiermit schneiden sich alle Linken am Ende selbst ins eigene Fleisch. Denn so bleiben wir in dem vom herrschenden Diskurs vorgegebenen Rahmen und setzen uns der Spaltung aus. 

Gewalt am 1. Mai 2021 
Ähnliches ergibt sich immer wieder und es ist schwierig, dagegen zu steuern. Am 1.1.2021 fand eine der größten 1. Mai-Demos seit Langem in Neukölln statt. Die von einem Bündnis, u.a. Migrantifa, organisierte Demo wurde nach nur kurzer Strecke von der Berliner Polizei gewaltsam gestoppt, im Nachgang dominierten Bilder von brennenden Mülltonnen auf der Sonnenallee. Migrantifa bemühte sich, der Debatte über linke Gewalt medial insofern etwas entgegenzusetzen, indem betont wurde, dass erst das polizeiliche Eingreifen zu den Ausschreitungen geführt habe, dass die Demo friedlich gewesen sei. Dies mag für den konkreten Tag und Ablauf gestimmt haben und auch ist wissenschaftlich anerkannt, dass ein härteres Auftreten der Polizei oft zu härterer Gegenwehr führt (dies war einer der ursprünglichen Gründe zur Einführung der sog. Anti-Konflikt-Teams). Aber mit diesem Statement hat Migrantifa auch die Genoss*innen geopfert, die für den Abend militante Aktionen geplant hatten und dies als selbstverständlichen, politischen Beitrag zum 1. Mai sahen. Die gewaltvollen Aktionen wurden delegitimiert und Militanz als Reaktion auf Polizeigewalt reduziert, anstatt sie als Mittel der Wahl, um revolutionären Geist zu transportieren, anzusehen.


Es mag in dieser Situation individuell und aus Migrantifa-Perspektive einiges dafür gesprochen haben, sich ein solches Narrativ mit potentieller linksliberaler Überzeugungsfähigkeit anzueignen. Doch bleiben die Sprechenden dabei innerhalb der Mainstreamerzählung, dass “Gewalt” böse sei und nicht nur ein unsolidarischer, sondern auch ein bequemer und langfristig der eigenen Sache schadender Weg. Zuerst autonome Praxen müssen dabei hinten runterfallen und werden so kontinuierlich gesellschaftlich weiter delegimiert. Hierüber ist ein Gespräch notwendig und ein Bewusstsein um diese gesellschaftlichen Folgen.

Riots unterscheiden sich von anderen Protesten nicht nur in der Form, sondern sie stellen auch die Eigentumsfrage und zwar auf eine sehr unbequeme Art und Weise. Genau das ist es auch, was viele Personen daran schockiert und die starken Abwehrreflexe der bürgerlichen Milieus hervorruft: Es werden fremde Autos angezündet, fremde Scheiben eingeworfen, fremde Flachbildfernseher weggeschleppt. Dabei geht es den Empörten weniger um die Zerstörung, sondern um den Eingriff in die Eigentumsrechte. Riots fordern somit tiefliegende Vorstellungen rund um das in kapitalistischen Gesellschaften fetischisierte Eigentum heraus.

Es kann bei riots aber auch um die Zerstörung von Symbolen gehen. Dort geht es dann nicht um Materielles, sondern um kulturelle Räume und deren Aneigung (man denke bspw. an das Absägen von Statuen im Rahmen der Black-Lives-Matter-Proteste oder Angriffe auf Polizeiautos). Auch in dieser Hinsicht sind riots Ausdruck von Unzufriedenheit über das herrschende System und somit auch politisch. Es geht um Wut und Frust, die sich entladen und nicht aus dem Nichts kommen, sondern eine Auseinandersetzung mit den bestehenden Verhältnissen darstellen. Diese als politisch aufgefasste Unzufriedenheit wird auch den herrschenden Schichten klar, wenn die riots im Ausland stattfinden: Die brennenden Barrikaden in Südeuropa im Zuge der Finanzkrise und Austeritätspolitik wurden selbstverständlich als politische Reaktion hierauf verstanden, die Massenproteste in Hong Kong als politischen Widerstreit mit dem chinesischen Regime. Das Auseinanderklaffen dieser Einordnung – zwischen dem politischen riot im Ausland und den Chaot*innen und Abenteurer*innen im Inland – erfüllt selbst auch eine politische Funktion.

Im Hinblick auf das Narrativ, dass Gewalt gegen Sachen kein Protest ist, findet sich auch der obrigkeitsstaatliche und bürgerliche Gedanken des Landfriedensbruches wieder: Der bürgerliche Staat hat Angst vor der Zusammenrottung vieler Personen. Allein dies soll auch heute noch unter Strafe gestellt werden. Der Staat will unterbinden, dass viele Menschen zusammenkommen, denn da können eigene Dynamiken und das Gefühl von Selbstwirksamkeit und -ermächtigung entstehen, können Bündnisse geschmiedet und gemeinsame Erfahrungen gemacht werden, die zusammenschweißen und die Überzeugung von der Sache stärken.

"Bild"-Überschrift: Nach Prügel-Demo -  Berliner Polizei widerspricht UN-Beauftragtem

Polizeiliche Willkür wurde insbesondere durch die Corona-Maßnahmen begünstigt. So wurden Vorschriften über Kontaktbeschränkungen genutzt um willkürliche Personengruppen zu kontrollieren. Dabei traf es immer wieder BPoC, Obdachlose oder anders marginalisierte Personen. Alles was nicht in die 2-Erwachsene-2-Kinder-Familie passte, war dem Verstoß gegen die Haushalts-Regel verdächtig. Auch linke Demos, bei denen Masken getragen, Hygienekonzepte befolgt und Abstände eingehalten wurden, wurden unter Gewaltanwendung drangsaliert.  Dies zog nicht selten Gewahrsamnahmen und Ordnungswidrigkeitsverfahren nach sich. So beispielsweise am 3. Oktober 2020 bei dem antifaschisten Protest gegen den Dritten Weg.

Rassismus und Polizei: Das Racial Profiling

Eine besondere Form der polizeilichen Gewalt stellt das Racial Profiling dar. Racial Profiling ist das rassistische Agieren der Polizei, bei dem Menschen anhand von phänotypischen Merkmalen Polizeikontrollen und weiteren polizeilichen Maßnahmen unterzogen werden. Betroffen von den diskriminierenden Kontrollen sind BPoC, Sintizze und Romnja und migrantisch gelesene Menschen.

Grundsätzlich zählen diese Kontrollen zur gängigen Praxis von Polizeibeamt*innen, so können Polizist*innen unter dem Vorwand eines ersten Verdachts Personen immer und jederzeit kontrollieren. Jedoch gibt es im Polizeirecht der Länder auch weitere Bestimmungen, die diese Befugnisse noch ausweiten. An sog. Kriminalitätsbelasteten Orten, kurz Kbo´s, die in Berlin über das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz § 21 geregelt werden, sind zum Beispiel auch verdachtsunabhängige Kontrollen erlaubt. Eine Liste der Orte ist online abrufbar. Die genauen Grenzen werden aber nicht veröffentlicht. Die Polizei muss an diesen Kbo‘s also keine Begründung mehr für ihre rassistischen Kontrollen liefern, stattdessen wird sie verstärkt, noch stärker als sonst schon, dazu angehalten rassistische Polizeikontrollen nach freiem Belieben auszuführen. In der Praxis sind sog. kriminalitätsbelastete Orte häufig Orte, an denen sich BPoC und illegalisierte Personen aufhalten, höhere Armutsverhältnisse herrschen und/oder Sexarbeiter*innen verkehren.

Dies führt zu einer selffullfilling prophecy, da durch vermehrte Kontrollen verständlicher Weise auch mehr Straftaten festgestellt werden. Dies führt wiederum zu verstärkter Stigmatisierung der betroffenen Orte und den damit assoziierten Personen und bestärkt Polizist*innen in ihrem rassistischen Verhalten, sowie Passant*innen in ihrer rassistischen Wahrnehmung.

In der Chronik der KOP Berlin finden sich zahlreiche Erfahrungsberichte der Betroffenen ebendieser rassistischen Kontrollen. Ein Beispiel von vielen ist dabei der folgende Fall vom 22. Mai 2012, an dem ein unbekannter Mann kontrolliert wurde:

22. Mai 2012 – unbekannt

Vorfall: Am frühen Mittag sammelt sich im Görlitzer Park eine Gruppe von etwa 20 uniformierten Polizist*innen und formiert sich zu einem Spalier. Etwa sechs von ihnen marschieren durch den Park und steuern zielstrebig auf einen jungen Schwarzen Mann zu, der Musik hört. Der Park ist gut besucht, doch niemand außer ihm wird anvisiert. Die Polizist*innen umzingeln den Mann und sprechen ihn an. Eine Zeugin of Colour will wissen, warum der Mann kontrolliert werde, aber sie erhält keine Auskunft. Weitere Zeug*innen kommen hinzu. Es entwickelt sich zwischen ihnen und einem jüngeren Polizisten ein Disput. Der Polizist erklärt, man würde im Park Straftäter suchen, die Drogen verkaufen. Der Beamte erklärt sinngemäß, »dass auch Deutsche, Araber und Türken an dem Geschäft beteiligt seien, aber die größte Gruppe seien ‚Schwarzafrikaner‘. Wenn [der] Mann nicht in das Geschäft involviert sei, könne er gehen, alles sei gut. Die Aktion sei nicht rassistisch.« Nach etwa 20 Minuten meldet ein Zivilwagen, dass der junge Mann gehen könne. Zeug*innen berichten: »Von Anfang bis Ende wirkte der Einsatz (…) wie eine militärische Aktion, ein polizeiliches Strategietraining: Spalierbildung, Rollkommando, Umzingelung. Die Situation war extrem bedrohlich.«

Weiterführende Informationen: Die Zeug*innen beobachteten kurze Zeit später eine identische Situation: wieder hatten uniformierte und zivile Beamt*innen einen Schwarzen Mann festgesetzt.

Der Görlitzer Park in Berlin stellt dabei ebenfalls einen sog. kriminalitätsbelasteten Ort dar. Auch hier sind also Kontrollen, die regelmäßig auch körperlich gewaltvoll ausufern, rechtmäßig gestattet.

Das daraus zu entnehmende Fazit ist, dass Racial Profiling nicht, wie häufig von Polizei und Politik behauptet, das Ergebnis von Einzelfällen sei, die Polizei aber insgesamt kein Rassismusproblem hätte. Es ist vielmehr anzuerkennen, dass Rassismus bei der Polizei ein systemisches Problem ist, das durch interkulturelle Schulungen oder eine bessere Repräsentation migrantischer Bevölkerung unter den Beamt*innen nicht effektiv bekämpft werden kann. Stattdessen ist es wichtig anzuerkennen, dass die rassistischen Strukturen, die Racial Profiling zugrunde liegen, wie beispielsweise die Erlaubnis verdachtsunabhängige Kontrollen durchzuführen, die zu beseitigende Ursache ist und der Rassismus tief im deutschen Rechtssystem verankert ist.

Um diese rassistischen Strukturen zu bekämpfen, ist vor allem die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Initiativen, die durch Öffentlichkeitsarbeit o.ä. gegen die rassistischen Handlungen des Staates vorgehen, notwendig.

Die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt zum Beispiel, ist seit zwanzig Jahren aktivistisch engagiert. Die Gruppen der KOP dokumentieren Vorfälle rassistischer Polizeigewalt, beraten dazu, begleiten Betroffene und unterstützen diese auch finanziell bei der rechtlichen Durchsetzung ihrer Interessen. KOP vermittelt  und begleitet Betroffene rassistischer Polizeigewalt zu Beratungsstellen, Anwält*innen und Psycholog*innen.

Cop Culture und Straffreiheit

Zwar werden in den seltensten Fällen von behördlicher Seite aus Verfahren gegen Polizeibeamt*innen erhoben, doch sollte es tatsächlich zu Verhandlungen gegen Polizist*innen kommen, greift meist der sogenannte Korpsgeist (engl. auch cop culture) unter den Kolleg*innen. Das Gefühl von Kameradschaft und Loyalität zu jenen, mit denen mensch die Einsätze fährt, das melodramatische “Wir gegen alle!”-Feeling, die gemeinsam gemachten Erfahrungen von Macht und gewaltförmiger Konliktbewältigung. Diese Faktoren führen zu einer Überhöhung der eigenen Position und begünstigen die Auffassung, ein*e Polizist*in könne (bzw. müsse!) Exekutive und Judikative in Personalunion sein. Aus Gründen der „Kameradschaft” werden also gerichtliche Zeugenaussagen abgesprochen, verfälscht oder verweigert. Dies wiederum stößt auf offene Ohren bei den Strafgerichten, die Aussagen von Polizeizeug*innen eine hohe Glaubwürdigkeit zu sprechen. Aufzeichnungen von strittigen Situationen werden versehentlich gelöscht oder es stellt sich heraus, dass zur Tatzeit nur der Boden gefilmt wurde. Während der Übergriffe wird weggeschaut oder sich aktiv beteiligt. Dauernd kommen bundesweit rechte Chats ans Licht, Aktivist*innen sehen Polizist*innen mit fetten Thorshammern auf ihren entblößten Unterarmen, rechte Aufnäher auf den Uniformen und Frakturschrift in den Autos, aber niemand von den Kolleg*innen scheint’s zu bemerken. Die ständig von Staats wegen legitimierte Praxis der Gewaltausübung verhindert die Entstehung eines Unrechtsbewusstseins im Bezug auf Übergriffe durch staatliche Hand. Die Selbstauffassung des Cops als „Rechtshüter*innen in Volkes Auftrag” sorgt dafür, dass jede eigene Handlung, bzw. die der Kolleg*innen, zunächst mal als rechtmässig und korrekt anzusehen ist. Und falls das Opfer vor Gericht eine gegensätzliche Meinung vertritt, bleibt noch die einschüchternde, durch Polizeizeug*innen gedeckte, Gegenanzeige.

Einer der wesentlichen Faktoren, welcher Polizeiübergriffe begünstigt, ist die nahezu umfassende Straffreiheit der Beamt*innen. Hier spielen viele Faktoren zusammen: erstens weigern sich viele Opfer von Polizeigewalt Anzeigen gegen Polizeibeamt*innen zu stellen. Dies kann aus Angst vor Gegenanzeigen (der Terminus Widerstandsbeamte bezeichnet Polizist*innen, die nach erfolgten Übergriffen gerne mal „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte” u.ä. zur Anzeige bringen), aufgrund erlittener Traumata oder massivem Vertrauensverlust gegenüber der staatlichen Rechtsordnung geschehen. Oder aber schlichtweg aufgrund nachvollziehbarer Einschätzungen bezüglich der, angesichts sich gegenseitig deckender Polizist*innen, sowie voreingenommener Richter*innen und Staatsanwält*innen, erfahrungsgemäß geringen Erfolgschancen der Fall sein. Eine aktuelle Studie zeigt, dass es bei Polizeigewalt in knapp 90% der Fälle  zu keinem Strafverfahren kommt. Kommt es trotz all den genannten Hürden letztendlich doch einmal zu einem Gerichtsverfahren wegen Körperverletzungen im Amt o.ä., so tun Polizeikolleg*innen, Staatsanwält*innen und Richter*innen meist ihr Bestes, um eine Verurteilung zu verhindern, denn wie sagt so schön das Sprichwort: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Der Kampf um Recht und Ordnung eint auch hier. Herauskommt, dass rund 26.000 Personen in Berlin immun gegen die Strafverfolgung sind. Sie gehen straffrei nach Hause oder wie mensch auch sagen könnte: Die Justiz begeht Strafvereitelung im Amt am laufenden Band. Dabei geht es nicht nur um dienstliche Gewaltanwendung, sondern auch um Straftaten die bei Gelgenheit des Dienstes oder im Privaten begangen werden.

Polizei auf Abwegen?

Zwischen einer Fahrzeugkontrolle am Ende November 2020 im Weddig, bei der die Cops neben einer nicht geringen Menge BtM beim Fahrer auch ein Dienstausweis fanden, welcher den Kontrollierten als Objektschützer der Direktion Zentrale Sonderdienste auswies, und einer Kontrolle in Spandau im Juni 2021 bei der bei einem weiteren Mitarbeiter des Objektschutzes knapp 100 “Druckverschlusstütchen mit mutmaßlichen Drogen” gefunden wurden, lag kein Jahr. Den ersten Fund hat die Pressestelle der Polizei nicht einmal gemeldet. Seit die Polizeipressestelle nach Skandalen rund um die Polizeiakademie (PA) die Meldepraxis änderte, häuften sich entsprechende Meldungen über an Körperverletzungsdelikten in ihrer Freizeit beteiligte (angehende) Polizisten.

Im August 2021 begann ein Prozess gegen Polizeianwärter im Studium für den gehobenen Dienst welcher im Volkspark Wilmersdorf, unweit der Polizeihochschule HWR (Badensche Str. 50-52, 10825 Berlin), eine Person mit einem Messerstich in herznähe lebensgefährlich verletzt haben soll.

Zu mehr als sechs Jahren Knast veruteilt wurde ein Hauptkommissar aus dem Stab der Polizeipräsidentin im vergangenen Jahr wegen der Vergewaltigung einer Sexarbeiterin. Er hatte die Tat, welche ein Zeuge durch einschlagen einer Autoscheibe stoppte, gefilmt. Im Nachhinein erstattete der Hauptkommissar noch Anzeige: Ein „Südländer“ habe seine Fahrzeugscheibe eingeschlagen.

Bereits 2018 war im Wedding ein Polizist vom (damaligen) Abschnitt 31 (Brunnenstraße) aufgeflogen, welcher gegen regelmäßige Schmiergeldzahlungen Lokal-Razzien an Drogendealer verraten haben soll.

In einem Actionfilm wähnten sich ein Cop einer Berliner Hundertschaft (David S., 31 Jahre) zusammen mit einem Hamburger Kollegen im Januar diesen Jahres: Sie fuhren mit einem geliehenen Wagen in Bamberg (Bayern) in ein Juweliergeschäft, plünderten mit Hämmern die Vitrinen und flohen mit aufgesetztem Blaulicht. Ein ebenfalls geklautes Handy lies sie bei einem Verkaufsversuch dann auffliegen.

Dies sind nur einige Fälle aus Polizeiticker und Boulevardzeitung, eine systematische Auswertung, nicht beschränkt durch die Mitteilungsbereitschaft der Polizeipressestelle, würde hier sicher den Rahmen sprengen.